Im Schatten des Feuerbaums: Roman
schwarze Kleider beschränkte – nicht nur ein schwarzes Spitzenhäubchen, sondern auch einen Schleier, der ihr Gesicht verhüllte.
Valentina wurde nicht müde zu betonen, welch großartiger Gatte und Soldat ihr Mann gewesen war, und wurde schmallippig, wenn zur Sprache kam, dass dieser sich zu Lebzeiten nicht immer mit Ruhm bekleckert hatte: Im besagten Bürgerkrieg nämlich hatte er auf der Seite des Präsidenten Balmaceda gekämpft – der nicht nur der große Verlierer dieser Auseinandersetzung, sondern obendrein ein schändlicher Mann gewesen war, der sich nach seinem Scheitern das Leben genommen hatte. Mehr als einmal hörte Aurelia Valentina klagen, warum Francisco denn nur im leidigen Bürgerkrieg gefallen sei und nicht im – irgendwie ehrenhafteren – Pazifikkrieg. Dass dieser zehn Jahre früher stattgefunden hatte, sie ihn – wäre er damals gestorben – nie kennengelernt und ihm keinen Sohn geschenkt hätte, spielte bei diesen Überlegungen keine Rolle.
Pepe bemerkte einmal trocken, dass es eine Zeit gegeben hatte, da seine Mutter ein falsches Datum für den Todestag ihres Mannes genannt hätte. Zu diesem Zweck hatte sie ihn auch um fünf Jahre älter gemacht und vorgegeben, sie hätte ihn posthum geboren. Pepe wirkte grimmig, als er das erzählte, obwohl er sich so oder so nicht an seinen Vater erinnern konnte und er überdies, wie Aurelia insgeheim dachte, ohnehin viel älter aussah, als er war. Eigentlich war er nur ein Jahr vor ihr geboren, aber er wirkte hausbacken und steif, als hätte er den vierzigsten Geburtstag längst hinter sich gebracht.
»Nun«, meinte sie in der Hoffnung, es sei ihm ein Trost, »so wichtig erscheint es mir nun auch wieder nicht, in welchem Krieg dein Vater gekämpft hat und in welchem er gefallen ist.«
Pepe nickte. »In jedem Fall war er von seinen Feinden gefürchtet. Er konnte mit seiner Pistole sogar eine Fliege treffen.«
Aurelia war etwas skeptisch, wandte jedoch nichts ein. Sie wusste nicht recht, ob Pepe vom allgegenwärtigen Gedenken an seinen Vater eingeschüchtert oder vielmehr stolz auf ihn war, und sie verstand noch weniger, warum Valentina so besessen war, dieses Gedenken am Leben zu erhalten – sie, die sich wie Victoria als Feministin bezeichnete, eine so selbstbewusste Frau war und nie den Anschein gab, sie zöge dieses Selbstbewusstsein aus der Tatsache, dass sie Franciscos Witwe war. Außerdem wirkte sie niemals kummervoll. Kein einziges Mal sah Aurelia sie um den Mann weinen, wenn ihr Blick auf das Gemälde oder auf den leeren Platz am Esstisch fiel, sie runzelte nicht einmal die Stirn. Stattdessen zeigte sich lediglich der sture Ausdruck einer Hausfrau, die sich in den Kopf gesetzt hat, ihr Haus frei von Staub zu halten. Ja, dies war ganz offenbar ihr Ziel: das Gedenken an Francisco rein zu halten – und das nicht so sehr aus Trauer, Nostalgie oder Liebe, sondern weil die Ordnung des Lebens das verlangte.
Auf Aurelia wirkte das überlebensgroße Gemälde von Francisco so einschüchternd wie die dunklen, überladenen Räume, aber nach einigen Tagen entdeckte sie ein Plätzchen für sich: den kleinen Garten im Innenhof des Hauses, in dem Bona, das Hausmädchen, Gemüse anbaute und zwei Hühner hielt. Die Wände des Hauses waren weiß gekalkt, der kleine Brunnen war etwas verwittert und das schmale Bänkchen ein guter Ort, um dort zu sitzen, sich von den Sonnenstrahlen necken zu lassen, ein paar Zeichnungen anzufertigen und aus der Ferne den Rufen des Obsthändlers zu lauschen, der von Tür zu Tür zog und seine Waren anpries. An diesem Ort war es auch, wo sie ihren Eltern einen langen Brief schrieb, erklärte, was geschehen war, und auch, dass sie vorerst hierzubleiben gedachte.
Ihretwegen hätte das Leben gerne in diesem beschaulichen Gleichmaß weitergehen können. Doch dann kam der Tag, an dem Victoria ihren Dienst im Krankenhaus antreten sollte. Sie sprach seit Wochen von nichts anderem, und am Abend zuvor hatte sie vor Aufregung kaum etwas gegessen. Aurelia stand früher auf als sonst, um ihr noch alles Gute zu wünschen, aber sie fand das Speisezimmer, indem sie sonst immer ihr Frühstück einnahmen, verwaist vor: Offenbar hatte Victoria es gar nicht mehr erwarten können, zu ihrem neuen Arbeitsplatz zu kommen. Das Haus schien ungewöhnlich still, und Aurelia entschied, sich wie so oft am Vormittag in den Garten zurückzuziehen, wo Bona eben frische Wäsche aufhing – im Hause Veliz wurde fast täglich gewaschen und die Betten
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