Im Schatten des Feuerbaums: Roman
möchte gerne Unterricht haben.«
»Soso, Sie wollen Unterricht haben. Und welche Voraussetzungen bringen Sie dafür mit?«
Fragend blickte sie ihn an und deutete schließlich auf ihre Bilder.
»Nun, Sie müssen schon ein bisschen mehr vorweisen als ein paar nette Landschaftsbilder. Was verstehen Sie von der Kunst? Was können Sie über die großen Maler Chiles sagen? Alberto Valenzuela Llanos, Pedro Lira, Ramón Subercaseaux …«
Sie hoffte, dass er ihre Verzagtheit, die die Frage auslöste, nicht ansah, und suchte händeringend nach ein paar klugen Sätzen, um ihn zu beeindrucken. Doch allzu bald kniff er seine Lippen zusammen.
»Das habe ich mir gedacht«, erklärte er streng, ehe sie auch nur ein Wort hervorbrachte, »Sie wissen so gut wie nichts darüber …«
Er stützte seine Hände auf den Tisch ab, richtete sich dann auf und begann in dem Raum auf und ab zu gehen. »Heute wird oft behauptet, dass es keine allgemeinen Regeln in der Kunst mehr gäbe, dass so viele unterschiedliche Bewegungen konkurrieren, die nichts miteinander gemein haben: ob Impressionismus, Symbolismus, Expressionismus, Kubismus, Fauvismus. Nun, inmitten dieser Vielfalt scheint es oft nicht klar, was man können muss und was nicht, um ein wahrer Künstler zu sein.« Er machte eine lange Pause. »Und dann gibt es noch ein anderes Phänomen – dass Kunst nicht mehr beschränkt bleibt auf die Elite, sondern in sämtliche Lebensbereiche vordringt. Es ist Mode geworden, dass man Lampen, Geschirr, Kleider und Bucheinbände mit bekannten Motiven der Malerei verziert. Im Übrigen könnte das eine Chance für Sie sein.«
Wieder machte er eine Pause und blieb erstmals stehen.
»Wie meinen Sie das?«, fragte sie verwirrt.
»Seien wir doch ehrlich. Die akademische Malerei ist in meinen Augen nichts, wofür Sie bestimmt sind. Was nicht gleich heißt, dass Sie kein Talent haben. Das haben übrigens durchaus viele Frauen. Ich habe etliche gesehen, die meisterhaft kopieren können.«
Ihr schwante langsam, in welche Richtung seine Gedanken gingen. »Kopieren?«, fragte sie entsetzt.
»Ach Gott, diese Modetorheit aus Europa, dass man Frauen zum Studium zulässt! Wie soll denn das gehen? Nun gut, ein paar Kurse können Sie machen. Aber wissen Sie nicht, dass die Aktmalerei, das Studium des Körpers also, ganz wesentlich zur akademischen Ausbildung gehört? Und das kann man einer Frau doch wirklich nicht zumuten! Selbst in Europa verlegen die meisten ihr künstlerisches Talent am Ende lieber aufs Sticken von Taschentüchern.«
Unwillkürlich hatte Aurelia ihre Mappe an sich gezogen und geschlossen, als müsste sie ihre Bilder schützen – und auch sich selbst. Die Scham, weil sie so wenig von Kunst wusste, machte heißem Zorn Platz. Aus jedem Wort Ponces triefte Verachtung, und wenn sie auch nicht sicher war, was genau diese bedingte – tatsächlich ihr Geschlecht, vielleicht aber auch ihre Jugend oder ihr Talent, das er nicht anerkennen wollte –, so war sie trotzdem überzeugt, dass sie diese nicht verdiente!
»Ich kann zeichnen, aber nicht sticken«, brach es wütend aus ihr heraus.
»Meinetwegen!«, meinte Ponce müde. »Versuchen Sie es doch bei einer dieser illustrierten Zeitschriften – dort wird immer jemand gesucht, der Kunst reproduziert und ins gutbürgerliche Wohnzimmer bringt. Vielleicht findet dort jemand Gefallen an Ihrer … Landschaftsmalerei.«
Aurelia presste ihre Mappe noch fester an sich. »Das heißt, es ist ausgeschlossen, dass mir jemand hier Unterricht erteilt?«
Señor Ponce seufzte, als hätte er schon zu viel Zeit an ihr verschwendet. »In Europa mag der Kunstbetrieb ganz sonderliche Wege beschreiten, hier aber bewegen wir uns in traditionelleren Bahnen. Bevor auch nur daran zu denken ist, dass Sie Schülerin an der Escuela werden, müssten sie unendlich viel nachholen – in der Geometrie, der Ästhetik, Kunstgeschichte.«
»Und bis dahin«, wiederholte sie, und der gerechte Zorn schwand, als sie begriff, dass sie gescheitert war, »bis dahin ist es undenkbar, hier Unterricht zu bekommen.«
Ponce setzte sich wieder hinter den Schreibtisch und hob entschuldigend die Hände. »Ich fürchte, so ist es«, erklärte er knapp.
Aurelia blieb wie erstarrt stehen. Sie wusste, dass ihr nichts anderes übrigblieb, als zu gehen, aber noch konnte sie sich nicht dazu überwinden.
Matías Ponce blickte hoch, nicht länger bedauernd, sondern ungeduldig. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte
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