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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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nachfragen.
    »Davon hast du noch nie gehört, nicht wahr?«, erriet er von selbst, was in ihrem Kopf vorging. »Du scheinst nicht sonderlich gebildet zu sein, wie denn auch, in Patagonien lernt man gewiss mehr über Schafe als Menschen. Glaub mir, mir macht das nichts aus. Du bist hübsch, liebenswert und lebendig, das konnte ich schon auf den ersten Blick sehen. Den Brown y Alvarados’ dagegen würde das nie und nimmer genügen. Sie stellen sich allen blind, die nicht den richtigen Namen tragen und über das nötige Kapital verfügen. Jemand wie ich oder mein Vater werden gerade noch geduldet. Als Ärzte verdienen wir zwar unser Geld mit unserer Hände Arbeit – etwas, was sie nicht nötig haben und was sie im Grunde ihres Herzens verachten –, aber wir sind immerhin studiert und gebildet, so dass sie uns höflich behandeln, uns manchmal gar gestatten, kurz dem Trug zu verfallen, die Kluft zwischen ihnen und uns wäre nicht ganz so tief. Aber dich würden sie gar nicht erst wahrnehmen. Ich hingegen nehme dich wahr. Mir gefällst du ungemein gut. Für mich spielt es auch keine Rolle, wer du bist.«
    Seine Stimme klang heiser, in seinem Blick leuchtete plötzlich Sehnsucht auf. Bis eben war Aurelia überzeugt gewesen, er würde sie verachten und ihr darum so zusetzen, doch als er nun unwillkürlich näher trat, sein Gesicht an ihres rückte und ihre Hand ergriff, wurde ihr klar, dass er mit all seinen abfälligen Worten nur nachäffen wollte, was die Oberschicht von ihr hielt – während seine persönliche Meinung ganz anders ausfiel.
    »Eigentlich passen wir beide viel besser zusammen als Tiago und du«, fuhr er raunend fort. »Er gibt sich mit uns beiden zwar ab, aber wir sind in Wahrheit nicht Teil seiner Welt. Uns fällt nichts zu. Was immer wir erreichen wollen, müssen wir uns erkämpfen. Und wir können es auf diese Weise auch mehr wertschätzen.« Sein Gesicht war nun so nahe, dass sie seinen Speichel und seinen warmen Atem spürte. Kurz verharrte sie wie gelähmt, dann riss sie sich los.
    »Lass mich!«, schrie sie.
    Verzweifelt blickte sie sich um. Am liebsten hätte sie ihre Röcke gerafft und wäre davongelaufen, aber sie widerstand diesem ersten Drang. Die Fahrt mit der Droschke hatte eine Weile gedauert, unmöglich würde sie von hier aus den Weg zurück in die Stadt finden.
    »Bring mich zurück!«, presste sie zwischen den Zähnen hervor.
    Andrés zuckte die Schultern, der Ausdruck von Sehnsucht war aus seinem Gesicht gewichen. Er trat drei Schritte zurück, als wäre er ihr nie zu nahe getreten, hätte nie ihre Hand gehalten oder davon gesprochen, dass sie besser zusammenpassten.
    »Wenn du meinst«, sagte er gleichgültig.
    Erst war es eine Erleichterung, dass die Rückfahrt nunmehr schweigend verlief. Jedes seiner Worte hatte einer Spitze geglichen, die in ihr Herz drang. Doch dass keine weiteren folgten, machte es nicht gerade leichter. Die Spitzen steckten nun fest und schmerzten bei jedem Atemzug
    Reich … mächtig … einflussreich … die Oberschicht … das starre Klassensystem … und sie nur die Tochter patagonischer Schafzüchter … ein Zeitvertreib, mehr nicht.
    Sie unterdrückte das Seufzen, das in ihr aufstieg, und bemühte sich um eine möglichst gleichmütige Miene, denn sie wollte sich vor Andrés keine Blöße geben. Aber sie ahnte, dass sie nicht aufhören würde zu weinen, wenn sie erst einmal allein auf ihr Bett sinken konnte. Verwundet fühlte sie sich, beschämt und … verraten, wenn sie sich auch nicht sicher war, ob von Tiago oder der eigenen Leichtgläubigkeit.
    So in Gedanken versunken, merkte sie nicht, dass sie inzwischen lebhaftere Straßen erreicht hatten. Sie zuckte erst zusammen, als die Droschke plötzlich ruckartig stehenblieb. Mit Mühe konnte sie sich im Sitz halten, Andrés dagegen fiel fast nach vorne. Kurz glaubte sie, er hätte diesen unsanften Halt selbst herbeigeführt, weil er wollte, dass sie in seine Arme fiel. Doch dann stieß er einen Fluch aus. »Was zum Teufel …?«
    Er beugte sich aus dem schmalen Fenster, und Aurelia tat es ihm gleich. Nicht nur ihre Droschke war zum Stehen gekommen, auch viele andere. Einzig die vielen Pferde, geritten von Männern in Uniform, stoben an ihnen vorbei. Die Erde vibrierte unter den Hufen, und aus der Ferne hörte man Grölen, Geschrei und Schüsse.
    »Ach Gott«, stieß Andrés angewidert aus. »Wieder ein Streik … oder eine Demonstration … wie so oft hier. Als ließe sich dadurch die Welt

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