Im Schatten des Fürsten
war. So stiegen sie hinunter, wenn auch nicht schnell.
Irgendwo über ihnen quietschte Eisen in lautem Protest, und ein dumpfes Krachen hallte durch das Treppenhaus. Einige Sekunden später hörten sie das Klirren von Schwertern, das immer leiser wurde, je weiter sie sich von dem verwundeten Hauptmann entfernten, der den Canim den Zutritt verwehrte.
Zum ersten Mal seit der Flucht aus dem Lagerhaus hatte Tavi einen Moment Zeit zum Nachdenken. Max zu tragen war eine vertraute Arbeit, und obwohl es ihn durchaus anstrengte, erforderte das nicht seine ganze Aufmerksamkeit. Nach und nach setzte er die einzelnen Dinge, die er erlebt und gesehen hatte, zu
einem Ganzen zusammen, um zu verstehen, was wohl als Nächstes geschehen würde.
Und plötzlich stockte ihm der Atem. Es hatte nichts mit dem Tragen zu tun oder mit einem Mangel an Luft. Er konnte einfach nicht mehr atmen, und sein Herz klopfte so heftig, dass er die einzelnen Schläge nicht mehr unterscheiden konnte.
Sie saßen in der Falle.
Ganz bestimmt unternahm die Fürstliche Wache alles Menschenmögliche, um sich zum Ersten Fürsten nach unten durchzuschlagen, daher standen vermutlich auch oben einige Canim, um sie aufzuhalten. Die Wolfskrieger waren in so engen Räumen unüberwindbar, weil es kaum Platz gab, um ihnen auszuweichen oder sie von der Seite anzugreifen, und dank ihrer überlegenen Reichweite und Größe konnten sie alle außer vielleicht den allerbesten Legionares überwinden. Ohne Zweifel würden die Ritter der Fürstlichen Wache ihre Elementarkräfte zum Einsatz bringen; allerdings waren sie dabei sehr beschränkt, aus den gleichen Gründen, die Tavi schon Kitai genannt hatte. Und nicht nur das: Es war durchaus möglich, dass die Ritter noch gar nicht an der Treppe angekommen waren. Der Überfall hatte mitten in der Nacht begonnen, während die meisten Männer schliefen, und es würde dauern, bis sie geweckt waren und zu den Waffen gegriffen hatten und zum Kampfgeschehen gelaufen kamen.
Diese Zeit fehlte dem Ersten Fürsten. Am Ende würde die Wache die Canim natürlich besiegen. Aber die Canim brauchten sie nur kurze Zeit aufzuhalten, und in diesem Gefecht auf Leben und Tod erschienen Augenblicke wie Stunden. Die Canim würden sich auf Miles stürzen und ihr Leben opfern, wenn es ihnen nur gelang, ihm eine Verletzung zuzufügen. Sie waren zahlreich genug, und es folgten immer mehr. Einer von ihnen würde Miles am Ende überwinden.
Aus dem Raum unten führte kein Weg heraus, nur die Treppe. Es gab demnach keine Fluchtmöglichkeit. Die Canim kamen,
und Ritter Miles war es nicht gelungen, die Königin zu töten. Miles, der Einzige von ihnen, der überhaupt etwas gegen die Canim ausrichten konnte, war bereits verwundet und halb blind. Der kleinste Fehler, die geringste Fehleinschätzung konnte ihn das Leben kosten, und obwohl Tavi glaubte, Miles hätte diesen Kampf bei jeder anderen Gelegenheit überstanden, war es mit diesen Wunden nur eine Frage von Minuten, bis seine Kräfte erheblich nachlassen würden.
Nachdem Miles gefallen wäre, würden die Canim den Maestro töten. Sie würden Tavi und Kitai umbringen. Anschließend kam natürlich Max an die Reihe. Und, solange sie nicht mit besonderer Dummheit geschlagen waren, würden sie auch Gaius ermorden, trotz Max’ Opfer als Doppelgänger des Ersten Fürsten.
Gaius war immer noch bewusstlos. Max hatte ebenfalls nicht alle Sinne beieinander. Der Maestro war ein wunderbarer Lehrer der Kampfkunst, aber er war ein alter Mann und vor allem kein Soldat. Kitai konnte sich zwar sicherlich genauso gut halten wie Tavi, doch gegen einen der Canim hatte sie ebenso wenig Chancen, geschweige denn gegen ein Dutzend. Tavi selbst war zwar auch im Kampf ausgebildet, nur rechnete er sich wenig Chancen aus. Die Unterschiede in Größe, Reichweite, Erfahrung, Kraft und Übung waren schlicht zu groß.
Wenn der Erste Fürst starb, würde das einen Bürgerkrieg zur Folge haben - einen Bürgerkrieg, den die Canim sofort zu ihrem Vorteil nutzen würden. Gaius’ Tod wäre womöglich der Auslöser, der den Untergang des gesamten aleranischen Volkes einleitete.
Diese Gedanken geisterten ihm durch den Sinn. Er biss die Zähne zusammen und versuchte den Kopf klar zu bekommen. Was ihm immerhin gelang, war, zwei Gedanken herauszuarbeiten.
Gaius musste gerettet werden, und zwar um jeden Preis.
Tavi wollte nicht sterben, und er wollte auch nicht, dass seinen Freunden und Mitkämpfern etwas zustieß.
Es gab nur eine Person,
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