Im Schatten des Fürsten
eingehen, von einem gelangweilten Gast erkannt zu werden, der nichts Besseres zu tun hatte, als in den Angelegenheiten anderer Reisender herumzuschnüffeln.
Stattdessen schlich er die Treppe zum zweiten Gebäude hinauf, wo sich die Zimmer befanden. Er öffnete die Tür, die am weitesten vom Eingang entfernt lag, schloss sie hinter sich und legte den Riegel vor. Einen Moment lang betrachtete er das Bett, nach dem sich seine Knochen sehnten, doch die Pflicht hatte Vorrang. Seufzend entzündete er das Feuer im Kamin, warf den Mantel zur Seite und goss Wasser aus einem Krug in eine breite Schale. Dann zog er ein kleines Fläschchen aus seiner Tasche, entkorkte es und gab einige Spritzer aus den tiefen Quellen neben der Zitadelle von Aquitania in die Schüssel.
Das Wasser kräuselte sich beinahe sofort, ein langer Tropfen erhob sich von der Oberfläche und bildete langsam die verkleinerte Gestalt einer Frau im Abendkleid, einer atemberaubenden Schönheit, die dem Äußeren nach noch keine dreißig Jahre alt war. »Fidelias«, grüßte sie. Ihre Stimme klang leise und wie aus weiter Ferne. »Du bist spät dran.«
»Fürstin Invidia«, erwiderte Fidelias und neigte den Kopf. »Ich fürchte, unsere Gegner nehmen wenig Rücksicht auf unsere Zeitpläne.«
Sie lächelte. »Es wurde jemand beauftragt. Hast du etwas über ihn erfahren?«
»Nicht sehr viel. Er hatte ein kalarisches Jagdmesser und konnte damit umgehen.«
»Eine kalarische Blutkrähe«, sagte das Abbild. »Dann stimmen die Gerüchte. Kalarus hat seine eigenen Kursoren.«
»Offensichtlich.«
Sie lachte. »Ein weniger anständiger Mann als du hätte nun angemerkt: ›Habe ich es nicht gleich gesagt?‹«
»Danke, Hoheit.«
»Was ist geschehen?«
»Es war knapp«, berichtete Fidelias. »Nachdem er mit seinem ersten Plan gescheitert war, geriet er in Panik. Er hat sich mit seinem Jagdmesser an sie herangeschlichen.«
»Und die Wehrhöferin ist tot?«
»Nein. Sie hat ihn gespürt, eher er zustechen konnte, und ihn mit einer Mistgabel getötet.«
Das Bild zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Beeindruckend.«
»Sie ist eine gefährliche Frau, Hoheit, auch ohne das Wasserwirken. Wenn ich fragen darf, wie ist die Versammlung der Liga ausgegangen?«
Die Frau neigte den Kopf zur Seite und sah Fidelias nachdenklich an. »Sie haben sich entschieden, die Wehrhöferin Isana zu unterstützen und zu fördern.«
Fidelias nickte. »Ich verstehe.«
»Wirklich?«, fragte das Abbild der Fürstin. »Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, was das bedeutet? Welchen Einfluss es auf den Lauf der Geschichte nehmen könnte?«
Fidelias schürzte die Lippen. »Auf lange Sicht könnte es zu einer rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter führen. Ich bemühe mich, nicht in historischen Dimensionen zu denken, Hoheit. Nur ganz sachlich in Hinblick auf Ursache und Wirkung.«
»Und das heißt?«
»Das heißt, die unmittelbarsten Auswirkungen werden wirtschaftlicher und daher politischer Natur sein. Wenn Frauen als Vollmitglieder der Civitas zugelassen werden, hat das schwere Folgen für den Sklavenmarkt. Es wird genauso teuer, einen weiblichen Sklaven zu kaufen und zu verkaufen wie einen männlichen, und das wiederum bedeutet für die Städte im Süden einen erheblichen Nachteil. Deshalb hat Kalarus vermutlich einen seiner Handlanger losgeschickt, um Isana von Calderon aus dem Weg zu schaffen.«
»Der Hohe Fürst Kalarus ist ein verkommenes Schwein«, sagte Invidia nüchtern. »Bestimmt hat er einen Tobsuchtsanfall erlitten, als er die Nachricht bezüglich der Wehrhöferin Isana gehört hat.«
Fidelias kniff die Augen zusammen. »Ach. Der Erste Fürst wusste genau, wie der Hohe Fürst Kalarus reagieren würde.«
Ihre Lippen kräuselten sich zu einem ironischen Lächeln. »Gewiss. Gaius hat seine Feinde mit dieser Angelegenheit ordentlich in zwei Gruppen geteilt. Das Bündnis meines Mannes im Norden und Kalarus im Süden - und wenn die Wehrhöferin sich hinter ihn stellt, könnte er meinem Mann die Unterstützung der Dianischen Liga abspenstig machen.«
»Würden sie nicht deiner Führung folgen, Hoheit?«
Das Abbild Invidias winkte ab. »Du schmeichelst mir, aber ich habe leider keinen sonderlich großen Einfluss auf die Liga. Wie auch sonst niemand. Mein Gemahl sieht den Vorteil, den die Unterstützung der Liga ihm einbringt, und die Liga sieht, was sie im Gegenzug selbst gewinnt. Unsere Beziehung sorgt für ein wechselseitiges Wohlergehen, nicht
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