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Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Titel: Im Schatten des Klosters - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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wird auseinander gerissen, Teile werden hierhin, andere Teile dorthin verlagert werden, und nichts, was mich mein Leben lang glücklich gemacht hat, wird noch Bestand haben. Darum habe ich mich auf diese Suche eingelassen. Und mittlerweile weiß ich, dass ich Sankt Albo nie finden werde.«
    Ulrich horchte seiner Stimme nach, die durch das Gewölbe hallte. War es anders, wenn man es endlich aussprach? Er fühlte sich dadurch weder erleichtert noch bedrückt. Jörg schien eingeschlafen; sein kaum hörbarer Atem war jedoch wie das Flüstern eines wohlmeinenden Beichtvaters, der einen ermutigte, weiterzusprechen.
    »Sankt Albo ist das Symbol, das unsere Gemeinschaft zusammenhält. Aber jetzt erst verstehe ich wirklich, dass die Suche danach ebenso ein Symbol ist. Solange er nicht gefunden wird, wird es immer die Suche nach ihm geben, und der Gedanke daran wird die Gemeinschaft aufrechterhalten. Verstehst du, Jörg … ich glaube, mir war von Anfang an klar, dass ich ohne den Schädel nie mehr zurückkehren dürfte, doch erst jetzt habe ich meinen Frieden damit gemacht. Selbst wenn wir ihn hätten, dürften wir Sankt Albo nie im Leben diesem Bruder Antonius ausliefern, weil es irgendwann herauskäme, dass er ihn hat, und dann wäre die Klostergemeinschaft am Ende. Nein, nein … so wie es ist, ist es am besten. Ich glaube nicht, dass ich es lange überlebt hätte, wenn ich das Kloster für immer hätte verlassen müssen auf der Suche nach dem Schädel. Bruder Antonius wird am Morgen mein Leben beenden, und ich werde als verschollen auf meiner Mission gelten, und da niemand wissen wird, ob ich noch lebe oder gestorben bin, werden sie annehmen, ich sei immer noch hinter Sankt Albo her. Sie werden den echten Schädel gar nicht brauchen – und es ist endlich erreicht, weshalb Bruder Fredegar zu uns gekommen ist und was Prior Remigius so sehnlich für unsere Gemeinschaft wünschte: Der Glaube allein wird genügen. Dafür kann ich gelassen in den Tod gehen.«
    Ulrich seufzte.
    »Es tut mir nur Leid, dass ich dich mit hineingezogen habe, Jörg von Ahaus. Doch ebenso freue ich mich nun, dass Rinaldo getan hat, was er tat – so kommt er mit dem Leben davon, und ich wünsche ihm von Herzen, dass ein Engel ihn auf allen seinen weiteren Wegen begleitet. Wir beide aber werden sterben, du und ich, und das werde ich mir noch mit meinem letzten Atemzug vorwerfen.«
    »Noch sind wir nicht tot«, sagte Jörg zu Ulrichs Erstaunen. »Vielleicht wirkt dein Sankt Albo ja ein Wunder – verdient hätten wir’s, schon um seinetwillen.«

Kapitel 29.
    D as Wunder geschah nach einer Zeitspanne des Wartens, während der Ulrich jegliches Zeitgefühl verloren hatte und erschöpft vom Nachdenken und In-die-Finsternis-starren eingeschlafen sein musste. Das Wunder hatte nur einen Haken: Es geschah lediglich im Traum.
    In Ulrichs Traum scharrte der Riegel vor der Tür plötzlich, und die Tür öffnete sich langsam und ließ einen hellen Lichtschimmer herein. Ulrich richtete sich langsam auf. Er blinzelte in den Schimmer und sah gleichzeitig, wie Jörg sich aufrichtete, einen Schritt nach vorn trat und dadurch Ulrich deckte. Mit der Trägheit, die Bewegungen im Traum eigen ist, versuchte Ulrich beiseite zu gehen, damit er erkennen konnte, wer da hereinkam. Er war überzeugt, dass es ein Engel war, und er wollte den Anblick eines leibhaftigen Engels keinen Augenblick lang versäumen. Er sah, wie Jörg sich herumdrehte, die gefesselten Hände ausstreckte, ihn an der Kutte packte und ihn leicht wie ein Kind in die Mauernische hob, die einst ein Heizofen für die Therme gewesen war.
    »Ich hoffe, ihr seid mindestens zu zehnt gekommen, damit wenigstens einer von euch hier lebend wieder rausgeht«, vernahm er Jörgs grollende Stimme und dachte bei sich: Sogar im Traum höre ich Jörg, wie er im wahren Leben redet. Zugleich fragte er sich, warum er nicht aufwachte, wenn er schon wusste, dass er in einem Traum gefangen war.
    Der Lichtschein schien von einer gleißenden Quelle auszugehen, die sich um die Tür herumschob, langsam, als bewege ihr Träger sich unter Wasser. Ulrich spähte um die Seitenwand der Nische und hielt den Atem an, als er eine schlanke Gestalt erspähte, hinter der sich gewaltige Schwingen bauschten. Die Gestalt schwebte herein, wandte sich um und schloss die Tür; dann trat sie auf die Männer zu. Ulrich hielt geblendet die Hände vor die Augen und blinzelte durch die Finger. Er sah, wie Jörg die Fäuste hob, als hielte er einen

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