Im Schatten des Kreml
kann.«
Eliteeinheiten des FSB und des Innenministeriums wurden während beider Tschetschenienkriege im Kaukasus eingesetzt. Sie waren besser ausgebildet und ausgerüstet als die zum größten Teil zwangsverpflichteten russischen Armeetruppen, und viele der Sondertruppen fungierten als Vollstrecker – im Gegensatz zur locker formierten Armee aus einheimischen Zivilisten, die in Verdacht standen, die tschetschenischen Kämpfer zu unterstützen. Bei der Parade und zu Showzwecken tragen diese Einheiten rote Barette wie der FSB-Agent, den ich in der Kommandozentrale k. o. geschlagen habe.
Ich verlasse Alias Büro, schließe die Tür hinter mir und laufe den Flur entlang.
»Ja, ich weiß«, sagt Golko, der mein Schweigen missdeutet. »Wie sollen wir gegen die ermitteln? Aber ich glaube, dort könnten wir vielleicht eine Antwort finden.«
»Wo ist das Archiv?«
Er nennt mir die Adresse, während ich mir meinen Weg über die festgeklebten Kabel im verlassenen Lagerhaus bahne.
»Lassen Sie uns einen Blick in die Akten werfen.«
»Wann?«
»Jetzt.«
11
Das Archiv des Innenministeriums befindet sich im vierten Stock eines Stalin-Ära-Gebäudes aus weißem Kalkstein, der durch die Abgase schwarz angelaufen ist. Bis zur einbrechenden Dämmerung dauert es noch mehr als zwei Stunden, als wir den Eingangsbereich betreten. Golko, der mitgenommen und zerzaust aussieht, und zudem unzufrieden, dass er um sechs Uhr früh an einem kalten Morgen aus dem Haus muss, zeigt seinen Ausweis einem uniformierten Wachmann mit rotem Barett. Ohne ihn sich anzusehen, winkt er uns an einem Metalldetektor vorbei und lässt uns durch ein Drehkreuz hinein. Ich stampfe die Treppen hoch, der Leutnant schnaufend hinter mir.
»Was sollen wir denen erzählen?«, fragt er. »Mit diesen Leuten kommen wir nicht weit.«
Der Treppenabsatz im vierten Stock führt zu einer weiteren kleinen Vorhalle. Sie ist leer. Keine Fenster und nur eine Tür. Die Tür ist aus Metall, darin eingelassen eine Milchglasscheibe vor Maschendraht. Sie ist nicht abgeschlossen.
Zwei Männer sind im Dienst, beide sitzen auf Hockern hinter einem Holztresen mit beschichteter Platte und sehen sich auf einem tragbaren Fernseher einen Zeichentrickfilm an. Sie tragen die Uniform der inneren Truppen und jeweils ein Gewehr über der rechten Schulter. Als Golko und ich durch die Tür kommen, steht der größere der beiden auf und verschränkt die Arme vor der Brust. Der andere, ein Offizier, erhebt sich langsam und sieht uns mit milder Verachtung an. Hinter ihm stehen lange schiefe Reihen von Akten auf durchgebogenen Metallregalen.
»Wir haben jetzt keine Geschäftszeit.«
Er gleicht einer Made. Bleich, fast unbehaart und so aufgebläht, dass ich das Gefühl habe, wenn ich ihm meinen Finger in die Wange bohre, bliebe der Abdruck lange zurück.
Golko zückt wieder seinen Ausweis und bittet darum, die Akten einsehen zu dürfen. »Sie brauchen sich um nichts kümmern«, betont er. »Wir schauen uns selbst um.«
Der Offizier schiebt ein Formular über den Tresen. »Füllen Sie das aus.« Er setzt ein gekünsteltes Lächeln auf. »Wir melden uns bei Ihnen.«
»Wann wird das sein?«
»Wahrscheinlich nie. Das hier sind keine Armee-Akten.«
»Ich habe ausreichende Vollmachten.«
Das Lächeln des Offiziers wird breiter. »Zwei Monate, wenn Sie Glück haben. Wir haben viel zu tun, und manchmal gehen Anträge auch verloren.«
»So lange können wir nicht warten.«
»Pech für Sie.« Er lehnt sich nach vorn, die Handflächen flach auf den Tresen gestützt, und bläst Golko seinen Knoblauchatem ins Gesicht. »Wir haben Vorschriften, nach denen wir uns richten müssen.«
Golko versucht, weiter zu verhandeln, inständiges Flehen scheint sein Ding zu sein. Meins ist es nicht.
Der Tresen versperrt ihnen die Sicht, als ich nach unten greife, das Messer hervorziehe und es in der linken Hand halte. Mit der rechten ziehe ich die Sig und ziele auf das Gesicht des Wachmanns. Er reagiert mit einem langsamen Blinzeln. Während er noch überlegt, was er tun soll, mache ich einen Satz nach vorn und ramme dem Offizier mein Messer in seine aufgeschwemmte Hand.
Die Klinge durchschneidet Sehnen und Knochen, stößt mit einem feucht-schmatzenden Geräusch tief ins Holz und nagelt ihn am Tresen fest. Es fühlt sich an, wie durch die Schale einer Wassermelone in ein Brett zu stechen. Er stößt einen Schrei aus, versucht reflexartig, die Hand wegzuziehen, und schreit dann noch lauter, als ihm die Klinge
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