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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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uns zu, aber ich stoppe ihn mit einem einzigen Blick. Die Wachmänner stehen wieder stramm, die Augen konzentriert nach vorn gerichtet.
    Ich presse meinen Handballen gegen Edorskais ausgekugelten Ellbogen, und er kreischt noch lauter, bis ich langsam den Druck ein wenig abmildere. »Wo ist Lachek?« Ich muss ihm ins Ohr brüllen, damit er mich durch sein Geschrei hindurch überhaupt verstehen kann.
    »Im Osten! Er geht nach Asien!«
    »Wohin genau?«
    »Ich habe verdammt noch mal keine Ahnung!«
    Ich drücke wieder stärker zu. »Wo ist Khanzad?«, fahre ich ihn an.
    »Ich kann Ihnen seine Nummer besorgen! Ich hab sie in meinem Handy! Im Büro!«
    Ich nicke einem der Wachmänner zu, der augenblicklich loseilt. Ich lasse Edorskais verdrehten Arm los, und er sinkt laut schluchzend zu Boden. Er wimmert noch immer, als der Wachmann zurückkommt und ihm das Handy in die unverletzte Hand legt. Er klickt sich durch das Menü und diktiert mir schließlich die zwölfstellige Nummer eines Satellitentelefons, die ich in mein Nokia eingebe. Jemand antwortet in einem kehligen Dialekt.
    »Ich will Khanzad sprechen.«
    Eine Minute vergeht schweigend, unterbrochen nur von Edorskais keuchendem Atmen.
    »Wer ist da?«, fragt schließlich eine Stimme auf Russisch.
    »Volk. Wenn du Valja Nowaskaja etwas antust, reiße ich dich in Stücke.«
    »Volk!«, begrüßt mich Khanzad, als sei ich ein längst verloren geglaubter Freund. »Genau mit dir wollte ich sprechen. Willst du ein kaiserliches Osterei kaufen? Tadellos erhalten, nur der Anhänger fehlt.«
    »Lass Valja in Frieden«, sage ich langsam und betone jedes Wort.
    »Sieht so aus, als hätten wir viele gemeinsame Bekannte«, entgegnet er in einem unverändert herzlichen Tonfall. »Einer von ihnen nennt sich Abreg. Der einsame Bandit, wie schon sein Name sagt, wusstest du das? Ein Mann, den man bewundern und fürchten muss. Ihr sollt verabredet sein, habe ich gehört. Aber er würde sich besser fühlen, wenn er eine gewisse Garantie für seine Sicherheit bekäme. Also habe ich versucht, etwas mit Valja in die Wege zu leiten. Ich habe sozusagen ein besonderes Auge auf sie.«
    Ich drehe mich von den anderen weg und stütze die Stirn gegen die Wand.
    »Du bist plötzlich so still«, sagt Khanzad freundlich. »Keine Sorge, ich tue ihr nichts. Wir sind schließlich aus demselben Dorf.«
    Dann legt er auf.

44
    Matthews und ich verlassen die Lubjanka durch einen Seiteneingang neben einem schwer bewachten Tor, durch das ein Lastwagen passt und das außerhalb der Öffnungszeiten von gewaltigen Stahltüren verschlossen ist, die das Gebäude sichern wie das Fallgitter einer Festung. Kein Schnee fällt. Die Nacht ist klar und kalt, und es weht ein Wind, der in die Gebeine kriecht wie die erfrorenen Finger einer Hexe. Meine Knochen schmerzen noch immer aufgrund der Enge des Schachts.
    »Was zum Teufel war da eben los?«, erkundigt sich Matthews.
    Ich rufe noch mal Valja an. Keine Antwort.
    »Charlie ist bald draußen«, sage ich. »Hast du dich darum gekümmert, wie wir nach Tindi kommen?«
    »Ihr hattet sie die ganze Zeit?« Als ich darauf nichts erwidere, erklärt er: »Wir können in zwei Stunden los.«
    Als wir den Lubjanka-Platz in der Nähe des Solowezki-Steins in Richtung Vadim’s Café überqueren, vibriert mein Handy. Ich kenne die Nummer nicht, nehme den Anruf aber trotzdem an.
    »Wo waren Sie, Volk?«, fragt Barokov und klingt dabei eher bestürzt als verärgert.
    »Warum?«
    »Wir haben ein Problem in einem Lagerhaus. Ihrem Lagerhaus.«
    Matthews sieht mich an. Ich wende mich ab. »Was für ein Problem?«
    »Wir haben eine Leiche gefunden«, sagt Barokov. »Es ist... also, wir brauchen Sie.«
    Zuckende Lichter, Rot und Blau, unterlegt von einem pulsierenden Gelb, wischen über die hohen Mauern meines Lagerhauses. Ich zerreiße das Absperrband, befreie mich aus dem Griff eines Polizisten, der mich am Arm packt, und ignoriere sein beleidigtes »Hey!«. Dränge vorbei an ein paar Sanitätern, die nichts zu tun zu haben scheinen, und bahne mir den Weg in einen Kreis von durcheinanderredenden Leuten direkt vor dem Haupteingang. Als Barokov mich sieht, hält er mitten im Satz inne.
    »Volk...«
    »Was ist passiert?«
    »Warten Sie, beruhigen Sie sich...«
    Ich schiebe ihn zur Seite und drücke mich durch die Menge bis zu dem Metalltor, das halb offen steht und von einem Polizisten bewacht wird, der ebenso breit wie hoch scheint. Als er mich packen will, greife ich nach seinem Arm, ziehe

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