Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
des Tisches kennen Sie ja zum Teil schon, wie mir zugetragen wurde: Prinz Alexandre und seine angehende Prinzessin Aurelie. Die beiden sind einander schon seit Jahren versprochen, aber …« Er senkte die Stimme. »Es wird gemunkelt, dass ihre Beziehung schon bessere Tage gesehen hat, wenn Sie verstehen, was ich meine. Daneben …« Cartagenas Miene hellte sich auf. »Oh, das dürfte Ihnen gefallen. Dieses Duo sollte ich Ihnen persönlich vorstellen.« Er stand auf und zog Carya halb mit sich in die Höhe. Das war an der Tafel offenbar keine unhöfliche Geste, denn immer wieder erhoben sich Gäste, um sich mit anderen Gästen zu unterhalten oder kurz den Raum zu verlassen.
Irritiert folgte Carya dem Botschafter einmal um die Tafel herum. Einfach hinter dem Thron des Mondkaisers vorbeizugehen – was deutlich kürzer gewesen wäre –, schien verboten zu sein. Im Laufen schaute Carya erneut zum rechten Teil des Tisches hinüber. Doch die hellhäutige Frau und ihr riesiger Begleiter waren gerade aufgestanden und auf dem Weg hinaus auf den Balkon, sodass sie keinen guten Blick auf sie erhaschen konnte.
Cartagena ging ihnen ohne zu zögern nach.
Draußen war es bereits dunkle Nacht, wenngleich man dank der hell erleuchteten Fenster des Schlosses und der Lichter im Garten wenig davon merkte. Der Himmel wölbte sich schwarz und wolkenverhangen über ihnen, und eine kühle Brise zog um die Ecken des Schlosses. Dem Leben bei Hofe schien das keinen Abbruch zu tun. Allein in diesem nördlichen Teil des Gartens flanierten zwischen niedrigen, kunstvoll gestutzten Hecken mindestens ein Dutzend Höflinge umher.
Auf dem Balkon vor dem Speisezimmer gab es wenig Platz, vor allem, nachdem sich ein so großer Mann, wie der, den Cartagena Carya vorstellen wollte, dort breitgemacht hatte. Doch den Botschafter schien das ebenso wenig zu kümmern, wie der Umstand, dass er die beiden möglicherweise in einem privaten Gespräch störte. »Sondergesandte Arida, Paladin Alecander, dürfen wir uns einen Moment zu Euch gesellen?«
Carya spürte, wie von einer Sekunde zur nächsten alles Blut aus ihrem Gesicht wich. Sie fühlte sich, als habe man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, und musste sich zusammenreißen, um nicht gegen eine der Säulen zu sinken, die in regelmäßigem Abstand die Brüstung teilten und ein schmales Dach über ihnen stützten.
Alecander! , dachte sie entsetzt. Oh, Licht Gottes, es ist Julion Alecander, einer der zehn Paladine des Lux Dei. Ich wusste doch, dass mir sein Gesicht irgendwoher bekannt vorkam. Natürlich hätte sie im Leben nicht damit gerechnet, den Mann, den sie vor zwei Jahren noch angehimmelt hatte und dessen kleines Bild nach wie vor hinter einem losen Ziegelstein in der Mauer ihres Zimmers steckte, am Hof des Mondkaisers in Francia anzutreffen. In Arcadion war sie ihm nie näher als fünfzig Schritt gekommen und das auch nur für den kurzen Moment, wenn er mit anderen Templersoldaten den Corso hinunter vorbeiparadierte, während sie fähnchenschwingend und mit leuchtenden Augen an der Absperrung gestanden hatte. Und jetzt hätte sie nur den Arm ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Obwohl sie längst über ihn hinweg war, seit zuerst Ramin und dann Jonan in ihr Leben getreten waren, merkte Carya trotzdem, dass ihr die Knie weich wurden.
Der Paladin und die Sondergesandte schienen ihre Schwäche nicht zu bemerken. Sie wechselten einen kurzen Blick. Arida gelang es schneller, eine Fassade von Freundlichkeit zu errichten. »Aber natürlich, Botschafter Cartagena. Wir wollten nur ein wenig frische Luft schnappen. In einem Raum voller Menschen entsteht manchmal eine recht unangenehme Atmosphäre.« Sie warf Carya einen kurzen Blick zu und lächelte. »Möchtet Ihr uns nicht Eure junge Begleiterin vorstellen?«
»Mit Vergnügen. Es wird Euch sicher freuen zu hören, dass sie, genau wie Ihr, aus Arcadion stammt.«
»Tatsächlich?« Nun schien Aridas Interesse geweckt zu sein.
Verspätet erkannte Carya, in welch gefährliche Lage Cartagena sie da gebracht hatte. Hätte sie geahnt, dass das Duo aus Arcadion stammte, wäre sie dem Botschafter niemals auf diesen Balkon gefolgt. Sie wäre nicht einmal zum Abendessen erschienen, wenn ihr vorher jemand gesagt hätte, dass die als Ehrengast teilnehmende Sondergesandte in den Diensten des Lux Dei stand. Viel zu groß war das Risiko, dass man sie als Hochverräterin erkannte, die gemeinsam mit ihrem desertierten Soldatenfreund mehrere Gardisten und
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