Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
sich Vorwürfe wegen mangelnder Vorbereitung zu machen. Daher blieb ihr als Vorsichtsmaßnahme nur eins: sich zu verstecken. Da es innerhalb des Runds keinerlei Deckung gab, schlug sie sich in das Buschwerk, das den Säulenkreis einschloss. Nun war sie froh, dass sie nicht im Kleid, sondern in ihrer Wildniskleidung hergekommen war. In edler blauer Abendgarderobe durchs Dickicht zu kriechen, wäre wahrscheinlich fatal für das Kleidungsstück gewesen. Ganz abgesehen davon wäre sie damit auch im Blätterwerk aufgefallen wie ein exotischer Vogel.
Und so wartete sie. Der Himmel verlor seine rote Färbung und ging in ein blasses, dann immer kräftiger werdendes Blau über, während die Sonne – von Caryas Versteck aus unsichtbar – im Osten aufging und die Wolken sich fast vollständig zerstreuten. Niemand kam, um sich mit ihr zu treffen und die seltsame Botschaft zu erklären, die ihr zugespielt worden war.
Nachdem sie gefühlt eine halbe Stunde gewartet hatte und ihr vom unbequemen Kauern im Gebüsch langsam die Gelenke zu schmerzen begannen, kroch sie unter dem grünen Blätterdach wieder hervor. Während sie sich die Hose abklopfte, blickte sie sich missmutig um. Diese heimliche Zusammenkunft hatte sie sich anders vorgestellt. Aber allem Anschein nach musste sie sich wohl oder übel damit abfinden, dass man sie versetzt hatte. Es hatte keinen Sinn, noch länger auszuharren.
Enttäuscht machte sich Carya auf den Rückweg zum Schloss. Sie nahm sich vor, Magister Milan auf die Nachricht anzusprechen, wenn sie ihn das nächste Mal sah. Es konnte ja sein, dass er einfach durch irgendeine Verpflichtung aufgehalten worden war und trotzdem ein Interesse daran hatte, seinen Andeutungen in dem Schreiben klare Worte folgen zu lassen. Und wenn Milan behauptete, nichts davon zu wissen, würde sie versuchen, ein Schriftstück von Julion Alecander in die Hände zu bekommen, um zu vergleichen, ob die Botschaft von ihm stammte. In dem Fall würde sie wohl Cartagena einweihen müssen. Er würde wissen, wie man diesem Vorstoß des Paladins am besten begegnete.
Carya hatte soeben die Jünglinge mit den Trauben passiert, als sie das rhythmische Knirschen von Pferdehufen auf dem Weg hinter sich vernahm. Sie drehte sich um und erblickte zu ihrem Erstaunen Prinz Alexandre, der auf einem wunderschönen Rappen den Parkweg hinauf und ihr entgegenritt.
Als er sie erkannte, hob er grüßend die Hand. »Guten Morgen, Mademoiselle Carya«, rief er gut gelaunt. Gleich darauf hatte er sie erreicht und zügelte sein Pferd.
»Ihr seid sehr früh wach, Hoheit«, stellte Carya fest.
»Das Gleiche könnte man von Euch sagen«, gab Alexandre zurück.
»Ich habe mich noch nicht ganz in die Lebensweise bei Hofe eingefunden. Die nächtlichen Feiern, das Schlafen bis spät in den Tag hinein. Es fällt mir schwer, mich daran zu gewöhnen.«
»Genauso wie an Eure schönen Kleider?« Die Lippen des Prinzen umspielte ein neckendes Lächeln, während er sein Pferd mit einem sanften Hackenstoß dazu brachte, gemächlich in Richtung Schloss zurückzutrotten.
Carya, die sich ihm anschloss, sah an sich hinunter und spürte, dass sie errötete. Eigentlich hatte sie in diesem Aufzug niemandem begegnen wollen – schon gar nicht dem Sohn des Mondkaisers. »Es … ich … ich hatte bereits gestern im Park ein kleines Malheur und war gezwungen, mein Kleid von den Dienern reinigen zu lassen. Ich wollte das nicht wieder riskieren. Daher habe ich meine alten Sachen angezogen.«
»So seid Ihr früher herumgelaufen?« Alexandre musterte sie neugierig, und Carya fiel ein, dass er sie in diesem Aufzug noch gar nicht gesehen hatte. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie bereits Cartagenas Kleid getragen – wofür sie im Nachhinein sehr dankbar war, denn sonst hätte der Prinz sie sicher für eine Bettlerin gehalten.
»Nicht in meiner Heimatstadt«, gestand Carya und zupfte etwas verlegen am Stoff ihrer Hose. »Aber auf der Wanderung nach Paris.«
Der Prinz runzelte die Stirn. »Gehört Ihr nicht zu Cartagena?«
Ach verdammt , durchfuhr es Carya, und sie hätte sich am liebsten geohrfeigt. Es gelang ihr einfach nicht, dieses Netzwerk aus Lügen, dessen Teil sie mit ihrem Eintreffen auf Château Lune geworden war, zu verinnerlichen und aufrechtzuerhalten.
»Doch, schon«, versuchte sie zu retten, was noch zu retten war. »Aber wir sind uns erst auf der Reise begegnet. Da wir das gleiche Ziel hatten, nahm er mich mit und unterwegs … äh …« Sie merkte, dass ihr
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