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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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Fuß vor den anderen. Der gewölbte Tunnel verstärkte jedes Geräusch, und er wollte seine Feinde nicht zu früh von seiner Ankunft unterrichten.
    Allerdings kam es ihm nicht so vor, als würde dort jemand leben. Er konnte weder den Schein von Lichtquellen erkennen, noch vernahm er Stimmen von Menschen oder sonstige Geräusche. Was war da los? Hatte Godard sich geirrt? Oder vielleicht sind die Vögel auch nur ausgeflogen , ging es Jonan durch den Sinn.
    Geduckt schlich er näher. Der Tunnel endete in einem breiten Sims zur Rechten, auf dem Sitzbänke und Mülleimer standen. An den Wänden klebten vergilbte Plakate, die auf Veranstaltungen und Produkte hinwiesen, die vor dem Sternenfall für die Menschen von Interesse gewesen waren. An der Decke hingen kastenförmige Lampen. Keine von ihnen war noch in Betrieb.
    Jonan ließ seinen Blick über den Bahnsteig schweifen. Keine Menschenseele war zu sehen. Er legte das Gewehr vor sich auf das Sims und stemmte sich nach oben. Dann nahm er es wieder auf und pirschte sich langsam vor. In der Wand gab es mehrere Öffnungen, die zum Ausgang oder zu anderen Gleisen führen mochten. Unschlüssig, welche er nehmen sollte, holte er die Zeichnung hervor, die er von Godards Tunnelnetzplan angefertigt hatte. Da er im grünen Licht des Nachtsichtgeräts zu wenig erkennen konnte, schob er die Maske auf die Stirn und aktivierte die Munitionsanzeige seines Sturmgewehrs.
    Im schwachen rötlichen Schein der leuchtenden Sechsundvierzig studierte Jonan die Karte und entschied sich, dem dritten Tunnel zu folgen. Er führte zu einem größeren Raum, von dem aus man zu verschiedenen Metro-Linien und auch zum Ausgang gelangte. Die günstige Position im Herzen der Anlage und die großzügigen Dimensionen machten den Raum einfach zum bevorzugten Versteck für eine Bande.
    Zufrieden packte er die Karte weg, schaltete die Munitionsanzeige wieder aus und zog die Maske vors Gesicht. Dann betrat er den Tunnel. Der Boden bestand aus Stein, und die Wände ebenso wie die gewölbte Decke waren vollständig gekachelt. Auch hier klebten Werbeplakate, und Schmierereien verunzierten die ohnehin schmutzigen Kacheln. Einige der Kacheln lagen abgeplatzt auf der Erde und erzeugten ein leises Knirschen unter Jonans Schuhsohlen. Deckung gab es überhaupt keine. Wenn es in einem dieser Tunnel zu einem Feuergefecht kam, würde das ein tödlicher Schlagabtausch werden.
    Vor ihm wurde es heller. Jonan zögerte kurz, bevor er die Restlichtverstärkeroptik ausschaltete. Er wollte nicht im falschen Moment geblendet werden. Das Licht stammte offenbar von einer oder mehreren Kerzen, denn es hatte den warmen gelben Schein von offenem Feuer. Zu hören war nach wie vor nichts. Doch gleich darauf hielt er inne. Das stimmte nicht! Ein leises Wimmern lag in der Luft, wie von einem Kind, das weinte.
    Pitlit! , durchfuhr es Jonan.
    »Halt’s Maul!«, schrie unvermittelt eine Männerstimme auf Francianisch. » Ich hab Schmerzen! Und heule ich etwa?« Ein blechernes Scheppern war zu hören, begleitet von einem ängstlichen Aufstöhnen.
    »Lass mich gehen«, bat eine Jungenstimme, die definitiv Pitlit gehörte, kläglich.
    »Vergiss es, Mistkröte! Du bleibst schön hier und bezahlst dafür, dass Jacques gestorben ist. Und für die Scheißkugel in meinem Arm. Echt, am liebsten würde ich dir den Hals umdrehen. Aber so einen schnellen Tod kriegst du nicht. Bis dahin dauert’s noch, das schwör ich dir. Vorher wollen wir ein bisschen Spaß mit dir haben.«
    Jonan spürte, wie ihn Erleichterung überkam. Pitlit war noch am Leben. Gleichzeitig wallte Zorn in ihm auf. Die Mofabande hielt ihn gefangen und quälte ihn zur eigenen Belustigung. Den makabren Spaß würde er ihnen gründlich verderben.
    Er schlich bis zum Ende des Tunnels und spähte in den Raum dahinter. Wie er erwartet hatte, befand sich dort das Lager der Bande – oder zumindest eines ihrer Lager. Es herrschte ein ziemliches Chaos. Überall standen Kartons und Kisten herum, in denen Fundstücke unterschiedlichster Qualität gelagert wurden. Das meiste sah aus, als stamme es aus alten Motorwagenwracks. Zwischen gekachelten Säulen waren Hängematten aufgespannt. In einer Ecke stand ein dreibeiniger Grill. Und mittendrin befanden sich zwei aufgebockte Mofas, die den Eindruck erweckten, als wollte sie jemand reparieren. Drei Ausgänge führten in verschiedene Bereiche der Metro-Station.
    In der Mitte des Raums stand ein Kasten aus Metallstangen auf einer Art Altar aus

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