Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Jonan den Sitz seines Kampfmessers im Stiefel und steckte seinen Elektroschockstab unter die Lederjacke in den Hosenbund. Carya konnte das Kleidungsstück, das er in letzter Zeit ständig trug, eigentlich nicht ausstehen, weil es zuvor einem Bandenmitglied der Motorradgang gehört hatte, die das Dorf der Ausgestoßenen überfallen hatte. Aber sie verstand natürlich, dass die robuste Jacke in der Wildnis ausgesprochen praktisch war. Zu guter Letzt hängte Carya sich einen ihrer Beutel um, in den sie aber nichts weiter als ihre Wolldecke steckte, um den Anschein zu erzeugen, dass sie Gepäck bei sich trugen. Denn ganz ohne Hab und Gut würden Wanderer kaum in Firanza eintreffen.
So gerüstet sprangen sie aus dem Wagen.
»Passt auf euch auf!«, rief Caryas Mutter ihnen nach.
»Werden wir«, versprach Carya.
Zusammen mit Jonan begab sie sich den Weg zurück zum Tor von Firanza. Ein Fuhrwerk mit Feldarbeitern passierte es soeben und verschwand im Inneren der Stadt. »Was genau erhoffst du dir von diesem Ausflug?«, wollte Carya von Jonan wissen.
»Ich möchte schauen, ob noch überall Steckbriefe von uns hängen. Und wie viele Soldaten oder Stadtwachen sich in den Straßen herumtreiben. Außerdem würde es nicht schaden, wenn wir etwas zusätzlichen Proviant auftreiben könnten. Wir haben eine lange Reise vor uns, und an der Küste wird es nicht unbedingt leichter, an Vorräte heranzukommen.«
»Was willst du den Händlern geben? Wir besitzen doch praktisch nichts zum Tauschen.«
»Im Moment können wir etwas Munition entbehren. Aber du hast recht: Wir müssen langsam mal nach Dingen suchen, die von Wert sein könnten. Wir dürfen nicht mehr so an jeder Ruine vorbeifahren. Ich habe zwar nicht viel Hoffnung, dass irgendwo noch Familienschätze herumliegen – nicht nach den Dunklen Jahren –, aber vielleicht haben wir ja Glück.«
Sie erreichten das Tor und durchquerten es unbehelligt. Direkt dahinter, an einer Hausmauer, befand sich ein Brett mit Anschlägen. Arglos, als seien sie einfache Wanderer, die sich über das neuste Geschehen informieren wollten, gingen sie darauf zu und ließen den Blick über die Bekanntmachungen schweifen.
»Nichts über uns«, flüsterte Carya Jonan zu.
Er nickte. »Das überrascht mich eigentlich«, gestand er. »Unsere Taten in Arcadion liegen keine zwei Wochen zurück. Und Firanza ist die nächste größere Stadt. So eifrig, wie der Lux Dei die Straßen von Arcadion mit unseren Gesichtern beklebt hat, hätte ich angenommen, man sucht uns auch hier.« Er blickte sich um und zuckte mit den Schultern. »Gehen wir weiter.«
Während sie durch die Straßen schlenderten, nahm Carya den Ort neugierig in Augenschein. Die Häuser in Firanza waren kleiner als in Arcadion und sahen schäbiger aus. Viele Fenster in den unteren Stockwerken besaßen keine Scheiben mehr, und die Fassaden waren rissig und von Schmutz bedeckt. Anders als in Arcadion schienen die Menschen nicht so viel Wert darauf zu legen, das wenige, das sie besaßen, in ordentlichem Zustand zu halten.
Die Bürger von Firanza unterschieden sich dagegen kaum von denen, die Carya aus ihrer früheren Heimat kannte. Die meisten trugen einfache, zum Teil fadenscheinige Kleidung: Hosen, Röcke, Jacken, Overalls. Einige Kinder liefen ihnen in den Uniformen der Templerjugend über den Weg. Einen gewissen Einfluss schien der Lux Dei also auch hier auszuüben. Die Gesichter der Menschen waren verhärmt, die Hände schwielig. Eine wohlhabende Oberschicht, wie in Arcadion, ließ sich nirgendwo entdecken.
Templersoldaten oder Stadtwachen sahen sie auch keine, bis sie unvermittelt einen kleinen Platz erreichten. Mitten im Tritt hielt Jonan, der voranging, inne. »Oh, Heiliger!«, zischte er und zog Carya in eine Hausnische.
»He, was …?«, entfuhr es ihr, doch dann sah sie es selbst. Sie bekam eine Gänsehaut. Keine zwanzig Meter entfernt, vor einem Gebäude, das aussah wie die beste Herberge am Platze, standen zwei Fahrzeuge. Eines davon war ein dunkelblauer Personenwagen. Er wirkte nicht ganz so edel wie der Motorwagen, den Carya auf ihrer Flucht aus dem Tribunalpalast zusammen mit Rajael gestohlen hatte, aber viel fehlte in ihren Augen nicht. Auf den Fahrertüren des Wagens prangte die dreistrahlige Sonne, ebenso auf den Wimpeln vorne an der Motorhaube.
Der Wagen daneben war ungleich wuchtiger. Es handelte sich um einen Lastwagen, dessen Karosserie, wenn Carya nicht irrte, gepanzert war. Auf der Fahrerkabine saß ein eigenartiger
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