Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
nur vor«, fuhr er mit vollem Mund fort. »Du könntest die Tochter des Mondkaisers sein! Ich meine, wie viele Leute in Francia können sich schon so ein Raketenflugzeug leisten?«
»Red keinen Unsinn«, schalt Jonan den Straßenjungen. »Technik wie diese gibt es in Francia nicht. Davon hätte der Lux Dei gehört. Und das bedeutet, ich hätte davon gehört.«
»Es könnte ja ein geheimes Raketenflugzeug gewesen sein«, entgegnete Pitlit spitzfindig. »Oder hat der Templerorden dem Mondkaiser etwa auf die Nase gebunden, dass er einen Kampfhubschrauber besitzt?«
»Eigentlich schon, denn der Hubschrauber war bereits draußen bei Grenzkämpfen im Einsatz. Das heißt, ich bin mir ziemlich sicher, dass der Mondkaiser von seiner Existenz weiß.«
»Lasst es gut sein, ihr beiden«, mischte sich Carya unwillig ein. »Ich könnte die Tochter des Mondkaisers sein, die des Ketzerkönigs oder die eines Kalifen aus den Wüstenstaaten. Wir wissen es einfach nicht. Aber wir werden es hoffentlich in Paris herausfinden. Bis dahin bringen solche Spekulationen gar nichts. Sie machen mich nur nervös.«
»’tschuldigung«, murmelte Pitlit.
Er verstummte, doch seine Worte hallten auf eigentümliche Art in Carya nach. Was, wenn das Raketenflugzeug wirklich auf dem Heimweg gewesen war, als es unweit von Arcadion abstürzte? Was, wenn sie wirklich aus Francia stammte und es ihr deshalb so leichtfiel, die francianische Sprache zu erlernen? In diesem Fall , dachte sie mit einem Schaudern, bin ich auf dem Weg zu meiner wahren Familie. Ich bin auf dem Weg nach Hause …
Einen weiteren Tag später wurden sie mitten in der Nacht plötzlich aus ihren Kojen gerissen. Lautes Glockengeläut zerriss die Stille, und kurz darauf hallte Fußgetrappel durch die Gänge. Alarmiert hob Carya den Kopf. »Was ist denn los?«
»Das werden wir gleich erfahren«, antwortete Jonan und sprang aus dem Bett. Er streifte seine Hose über, schlüpfte in die Kampfstiefel und griff nach dem Sturmgewehr. Pitlit hüpfte derweil aus der Hängematte, in der er schlief, und eilte zum einzigen Bullauge ihres Raums, um zu schauen, ob er draußen einen Grund für die ganze Aufregung erkennen konnte. »Stockdunkel«, verkündete er.
»Bleibt hier«, wies Jonan Carya und Pitlit an, als er zur Tür ging. »Ich schaue mich mal um.«
»Kommt nicht infrage«, widersprach Carya. »Wir bleiben zusammen.« Sie hatte bereits die Wolldecke, unter der sie schlief, zur Seite geschlagen und angelte mit den Füßen nach ihren Schnürschuhen. Ihr weißes Nachthemd, das ihr Nessunos Frau während ihrer Zeit bei den Ausgestoßenen geschenkt hatte, war vielleicht nicht der beste Aufzug, um darin draußen auf Deck herumzulaufen. Aber sie hatte jetzt keine Zeit, sich umzuziehen – und sie wollte es auch nicht, solange Pitlit im Raum war. Der Straßenjunge hegte schon genug schlüpfrige Fantasien von ihr, selbst wenn er stets nur scherzhaft darüber sprach.
»Na schön«, brummte Jonan. »Zieh wenigstens das hier über.« Er nahm seine Lederjacke vom Haken und warf sie ihr zu. Dankbar nahm sie sie entgegen. Die Jacke roch etwas streng, aber sie schützte vor dem Wind und den neugierigen Blicken der Mannschaft.
So vorbereitet stürzten sie nach draußen auf den Gang und diesen hinunter, bis sie die Metalltreppe erreichten, die sie hinauf an Deck brachte. Dort stießen sie mit einem drahtigen, kraushaarigen Burschen zusammen, der ebenfalls nach oben wollte. Er hieß Giulio, stammte aus Livorno und war noch recht neu in Dennings Mannschaft. Carya hatte ihn in der Kombüse kennengelernt.
»Was geht denn vor, Giulio?«, rief sie ihn an.
Gehetzt sah er sich zu ihnen um. »Die Maersk Titania «, stieß er hervor. »Wir erreichen die Maersk Titania .« Er polterte die Treppe hinauf.
»Und was ist das, eine Maersk Titania ?«, wollte Carya wissen, während sie ihm mit Jonan und Pitlit nachfolgte.
Giulio drückte die Klinke der schweren Außentür hinunter und schwang sie auf. Oben an Deck liefen die Männer umher, und auch in der Takelage wurde fieberhaft gearbeitet. Dennings Besatzung reffte die Segel und steckte den Schornstein mittschiffs auf. Offenbar wurde die Albatros von Segel- auf Dampf- oder Schwerölbetrieb umgestellt. Das geschah laut Géant normalerweise nur, wenn kniffligere Manöver bevorstanden, etwa die Fahrt eine Flussmündung hinauf oder zwischen Riffen hindurch. Carya konnte weder das eine noch das andere erkennen.
Doch dann traten sie an die Reling, wo bereits Hook
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