Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
wickelte Jonan sein Templersturmgewehr wieder in seine Wolldecke ein und hängte es sich um, als handele es sich um eine Schlafrolle. Einem genaueren Blick hielt die Tarnung natürlich nicht stand, aber er hoffte darauf, dass man ihnen nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken würde.
Vorsichtig durchquerten sie eine Siedlung, dann eine zweite und eine dritte. Sie hielten sich auf Nebenstraßen, aber es ließ sich nicht vermeiden, auf Einwohner zu treffen, die ihren Weg kreuzten oder die aus den Fenstern ihrer Häuser herausschauten. Obwohl Jonan, Carya und Pitlit der eine oder andere neugierige Blick zugeworfen wurde, sprach sie niemand an, und so erreichten sie gegen frühen Nachmittag die zweite, im Süden von Paris verlaufende Handelsstraße, auf die Jonan es abgesehen hatte. Nun hatten sie es fast geschafft.
Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto stärker wuchs die Unruhe in Carya. Sie hatte beinahe Angst vor dem, was sie finden oder vielleicht doch eher nicht finden würden. Würde dieser Ort, dem sie im Schein der untergehenden Sonne über eine vierspurige Zubringerstraße entgegenliefen, endlich die Lösung für das Rätsel ihrer Herkunft liefern? Oder wäre sie am Ende so schlau wie vorher und all ihre Mühen, bis hierherzugelangen, würden sich als verschwendete Zeit erweisen?
Die Landschaft wurde jedenfalls wieder trostloser. Wie es aussah, ließen sie die Lebenszone von Paris hinter sich. Menschen und Tiere machten sich rar, Häuser verfielen zu Ruinen, Unkraut und Buschwerk trieben aus dem aufgeplatzten Straßenbelag. An einigen Stellen klafften Krater von Projektileinschlägen. Umgeknickte Masten von hohen Straßenlaternen und zerfetzte Drahtzaunstreifen zeugten von der enormen Wucht der Explosionen, die sich hier vor langer Zeit ereignet haben mussten.
Carya sah, wie Pitlit angestrengt auf den Strahlungsmesser in seiner Hand schaute. »Müssen wir aufpassen?«, fragte sie ihn.
Wie ertappt hob er den Blick und schüttelte den Kopf. »Nein, sieht alles gut aus – glaube ich. Zumindest blinkt keins der Warnlämpchen.«
Sie marschierten gerade über eine Brücke hinweg, unter der Bahngleise verliefen, als in der Ferne ein kantiges Bauwerk sichtbar wurde, auf das die Straße zuzuführen schien. Beim Näherkommen sahen sie, dass es sich um einen rechteckigen Kasten handelte, der mehrere Stockwerke hoch war und eine Fassade aus Glas und grünen, kachelartigen Elementen besaß. In der Mitte des Gebäudes klaffte ein gewaltiger Spalt, als habe ein Kind mit der Faust auf einen frisch gebackenen Kastenkuchen eingeschlagen. Ein Großteil der Fenster zur Linken und zur Rechten waren zersplittert, die Fassadenteile abgesprungen.
»Dort vorne«, sagte Jonan mit einem Blick auf den Navigator. »Hinter diesem Bauwerk liegt unser Ziel.«
Es erwies sich als einfacher gesagt als getan, das Gebäude zu erreichen. Die Straße, der sie folgten, verschwand unterhalb des gespaltenen Bauwerks in einer gähnenden Tunnelöffnung. Zuvor jedoch teilte sie sich mehrfach auf. Ihre Ableger wurden zu einem verschlungenen Gewirr aus Zufahrtsrampen, die sich durch Unterführungen und über Brücken unterschiedlichen Teilen des Areals näherten, auf dem das grüne Gebäude nur das Zentrum zu sein schien. Überall gab es freie Flächen, auf denen völlig verrostete und zum Teil ausgebrannte Motorwagen standen. Zur Rechten erhob sich ein Bauwerk, das ein Hotel gewesen sein mochte. Links von dem zentralen Gebäude standen mehrere Hallen, die früher vermutlich Lager oder Fertigungsanlagen gewesen waren.
»Was ist das für ein Ort?«, fragte Pitlit und blickte zu einem zerschrammten gelben Metallschild hinauf, auf dem ein Symbol zu sehen war, das an einen Sonnenschirm mit sehr dicker, herausragender Spitze erinnerte.
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, gestand Jonan. »Der Navigator nannte ihn Aéroport Orly. Aéroport klingt nach Lufthafen. Vielleicht ein Landeplatz für Raketenflugzeuge wie das von Carya? Auf jeden Fall muss er wichtig gewesen sein, so groß, wie hier alles angelegt ist.«
»Hm, ja.« Pitlit kniff die Augen zusammen. »Könnte ein Raketenflugzeug sein, auf dem Schild, wenn auch ein recht komisches.«
Ein eigentümliches Kribbeln nahm von Carya Besitz. »Ganz egal, was es mal war, es ist der Ort, an dem ich vor zehn Jahren landen sollte«, sagte sie mehr zu sich selbst als an Jonan oder Pitlit gerichtet. »Und das mit einem Fluggerät, wie es sie eigentlich nicht mehr hätte geben dürfen.« Sie richtete den Blick
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