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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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sich ein Schlafzimmer. Die Läden vor dem einzigen Fenster standen offen, aber der Vorhang war zugezogen, sodass dämmriges Licht herrschte. Auf einem Nachttisch stand eine schlanke Vase, aus der ein paar völlig vertrocknete Blumenstiele ragten. Den verschrumpelten Blüten nach zu urteilen, musste es sich um Rosen gehandelt haben. Eine verstaubte Flasche Wein und zwei Gläser standen daneben.
    Auf dem benachbarten Doppelbett, dessen Laken im Laufe der Jahre grau geworden waren, lagen zwei Skelette. Genau genommen handelte es sich nur noch um vereinzelte Knochenreste, die aus halb zerfallenen Fetzen von Kleidungsstücken herausragten. Als Menschen waren sie kaum noch zu erkennen.
    Dennoch konnte man sich sehr gut ausmalen, was hier vor Jahrzehnten vorgefallen war: Ein Mann und eine Frau, vermutlich die früheren Besitzer des Hauses, hatten an diesem Ort gemeinsam ihrem Leben ein Ende gesetzt. Ob sie krank oder verletzt gewesen waren, ließ sich heute nicht mehr sagen. Die Blumen und der Wein sprachen jedoch für einen freiwillig gewählten Tod, womöglich aus Angst vor der düsteren Zukunft, die der Menschheit bevorstand. Eng umschlungen waren sie aus dem Leben geschieden. Wahrscheinlich hatten sie zuvor Gift genommen.
    Ungebeten stieg in Caryas Geist einmal mehr das Bild ihrer Freundin Rajael auf, die genauso gehandelt hatte. Tränen füllten ihre Augen, und sie ließ Pitlit los, um sich abzuwenden.
    Jonan, der mit bekümmerter Miene hinter ihr stand, nahm sie in die Arme. »Ich glaube, in diesem Haus übernachten wir nicht«, sagte er leise.
    Carya vermochte an seiner Brust nur stumm den Kopf zu schütteln, während eine grenzenlose Trauer von ihr Besitz ergriff. Für die Menschen vor dem Sternenfall mochten Leid und Tod bloß spannende Unterhaltung gewesen sein. Heute traf man auf beides, wohin man seine Schritte setzte. Und daran war nichts Spannendes und absolut nichts Unterhaltsames.

Kapitel 14
    S ie suchten sich einen anderen Schlafplatz innerhalb des Dorfes, und am nächsten Morgen brachen sie bereits mit dem ersten Licht des Tages wieder auf. Drei weitere Tage wanderten Jonan, Carya und Pitlit die Handelsstraße entlang. Sie verspeisten die Vorräte, die Denning ihnen mitgegeben hatte, und schliefen in leer stehenden Häusern, allerdings ohne weitere schaurige Entdeckungen zu machen.
    Menschen begegneten ihnen nach wie vor kaum. Einmal kreuzte ein berittener Bote ihren Weg. Ein anderes Mal kam ihnen ein Ochsenfuhrwerk entgegen, auf dessen Kutschbock ein alter Mann und eine Frau saßen, die, wie es aussah, ihren ganzen Hausrat auf der Ladefläche mit sich führten. Am dritten Tag tauchten ein Mann und ein Junge hinter ihnen auf, die beide sehr schmutzig und verhärmt wirkten und ihnen in misstrauischem Abstand einige Stunden lang folgten. Pitlit überlegte, ob er sie ansprechen sollte, aber Jonan riet ihm davon ab. »Wir lassen sie besser in Ruhe«, sagte er. »Der Mann hat eine Pistole, und er wirkt so nervös, dass er womöglich noch auf uns schießt, wenn er das Gefühl hat, wir würden ihn bedrohen.« Kurz darauf schlug sich das seltsame Duo in die Büsche und war verschwunden.
    Am Nachmittag des vierten Tages ihrer Reise nahmen die Anzeichen von Besiedelung immer stärker zu. Das Land wurde flach wie ein Brett, und erste Felder tauchten am Straßenrand auf. Anscheinend bauten die Bauern vor allem Getreide, Kartoffeln und Steckrüben an. Auf einigen Feldern waren Männer und Frauen damit beschäftigt, mit von Pferden gezogenen Mähmaschinen die Ernte einzuholen.
    Kurz darauf kamen die ersten Dörfer in Sicht, die nicht verlassen und dem Verfall preisgegeben waren. Mit Erstaunen stellte Jonan fest, dass die Menschen hier nicht wie in Arcadion hinter dicken Stadtmauern lebten, sondern stattdessen in befestigten Dorfgemeinschaften, die teilweise so nahe beieinanderlagen, dass sie in den nächsten Jahren sicher zusammenwachsen würden.
    »Das ist ja seltsam hier«, wunderte sich auch Pitlit. »Ich dachte, Paris wäre genauso geschützt wie Arcadion.«
    Jonan versuchte, sich daran zu erinnern, was er über das Reich des Mondkaisers wusste. Wenn er sich nicht täuschte, stellte Paris das genaue Gegenteil von Arcadion dar. In der Hauptstadt des Lux Dei hatten sich die Menschen hinter die festen Mauern der Arca di Dio zurückgezogen, nur um alles außerhalb der Stadt der Zerstörung und dem Verfall preiszugeben. Auf diese Weise war der Trümmergürtel, das Ödland um Arcadion, entstanden. Paris war schon

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