Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Treppe erreichten, der sie nach unten folgten. Durch die nach wie vor offen stehende Tür hörten sie die Rufe ihrer Feinde. Jetzt kam Carya und Pitlit die geborstene Brücke zugute. Die Gardisten konnten ihnen nicht unmittelbar folgen, sondern waren zu einem Umweg gezwungen.
Am Boden angekommen, durchquerten sie die Halle in der Hoffnung, auf der dem Vorfeld entgegen gelegenen Seite einen freien Fluchtweg zu finden. Diesmal war das Glück ihnen hold. Sie entdeckten ein Rolltor, das einen knappen Meter über dem Boden festhing. Eilig schlüpften sie darunter hindurch und erreichten einen der Parkplätze, die zum Friedhof für zerstörte Motorwagen geworden waren.
Alles war ruhig. Von ihren Feinden war nichts zu hören. Carya gestattete sich die vage Hoffnung, dass sie ihnen entkommen sein könnten.
Plötzlich jedoch erfüllte ein Rauschen die Luft über ihnen. Carya hob den Kopf, und ihr gefror buchstäblich das Blut in den Adern. Das Raketenflugzeug schwebte über die Halle hinweg und näherte sich ihnen langsam, wobei es erneut hin und her pendelte und dabei an eine riesenhafte Biene erinnerte, die eine Blume mit besonders süßem Nektar suchte. Seine Scheinwerfer glitten über den dunklen Parkplatz.
»In Deckung«, zischte Carya und zog Pitlit in einen offen stehenden Wagen hinein. Er war ziemlich groß und innen reihte sich Sitz hinter Sitz. Offenbar handelte es sich um ein Personentransportfahrzeug.
Sie duckten sich hinter zwei Sitze und spähten durch ein Fenster ins Freie. Das Raketenflugzeug beschrieb eine langsame Schleife, und die weißen Lichtfinger, die von seinem Rumpf ausgingen, machten die Abenddämmerung zur hellen Mittagsstunde, wo sie auf den Boden trafen.
Carya spürte, wie Verzweiflung sie zu lähmen drohte. Gegen einen Verfolger aus der Luft hatten sie keine Chance. Er würde ihnen überall hin nachfliegen, es sei denn, sie flohen in das Gebäude in ihrem Rücken zurück. Dort aber saßen sie in der Falle und mussten von den Gardisten nur noch eingesammelt werden. Die einzige Möglichkeit, die sie vielleicht noch hatten, war … »Pitlit, wir fliehen in den Tunnel.«
»Welchen Tunnel?«
»Die Straße, die direkt auf das gespaltene Gebäude zuführt, ist doch darunter in einem Tunnel verschwunden. Dorthin kann uns das Raketenflugzeug nicht folgen.«
»Was ist mit dem Panzerwagen dieses Dicken?«
»Siehst du den hier irgendwo?«
»Nein, aber das muss nix heißen. Vielleicht lauern die nur darauf, dass wir uns zeigen.«
»Wenn wir hier sitzen bleiben, entdecken sie uns früher oder später mit Sicherheit.«
Der Junge schnitt eine Grimasse. »Also haben wir die Wahl zwischen einem Übel und einem anderen. Toll.« Er zog seinen Revolver hervor und lud ihn mit neuen Patronen, die er aus seiner Jackentasche fischte.
»So scheint es«, sagte Carya nickend, während sie ihm dabei zusah. »Und ich für meinen Teil wähle lieber den Kampf, als wie ein Kaninchen im Bau auf den Hund zu warten.«
Pitlit ließ die Trommel des Revolvers zuschnappen und lächelte grimmig. »Dann los.«
Geduckt schlichen sie zum Hinterausgang des Personentransporters und glitten hinaus ins Freie. Der Tunneleingang lag etwa zweihundert Meter entfernt, ein dunkles Loch, das man von hier aus nur erahnen konnte. Verstohlen liefen sie zwischen den Motorwagenwracks entlang auf das Ende des Parkplatzes zu. Als sie es erreicht hatten, schlugen sie sich durch hüfthohe Sträucher zu der Straße durch, die hinunter zum Tunnel führte.
In diesem Moment wurden sie jedoch vom Piloten des Raketenflugzeugs entdeckt. Von einer Sekunde zur nächsten waren sie in helles Licht gebadet, ein Licht, das ihnen jede Deckung raubte. »Renn«, rief Carya Pitlit zu und beschleunigte selbst ebenfalls ihre Schritte.
Mit brausenden Triebwerken glitt das Fluggerät näher. »Bleiben Sie stehen. Sie können nicht entkommen. Ihnen wird nichts geschehen«, tönte es aus einem Lautsprecher.
»Wer’s glaubt, wird selig«, schrie Pitlit und feuerte über die Schulter einen blinden Schuss aus seinem Revolver ab.
Auf der anderen Seite der Hauptzubringerstraße, auf einer der Rampen, flammten die Scheinwerfer eines Fahrzeugs auf. Der Panzerwagen! Mit grollendem Motor nahm er Fahrt auf und brauste heran.
»Ins Gebüsch!«, rief der Straßenjunge und lief in einen wuchernden Grünstreifen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße.
Carya wollte ihm folgen, doch unvermittelt trat sie auf ein Trümmerstück am Boden, das sie nicht gesehen hatte.
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