Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Carya griff rasch nach ihrem fallen gelassenen Bogen und schlang ihn sich über die Schulter. Dann folgte sie ihm.
Zu dritt flohen sie durch die Trümmer. Hinter ihnen peitschten Schüsse. Knallend sprengten die Kugeln Gesteinsbrocken von der Fassade. Ein Fensterrest über ihren Köpfen zerbarst, und Glassplitter regneten auf sie herab.
Carya rannte, so schnell sie konnte, immer hinter Pitlit her, der ihr mit wehender Jacke vorausflitzte. Jonan, der mit seinem Beutel und dem Sturmgewehr am schwersten zu tragen hatte, bildete die Nachhut. Vielleicht blieb er auch absichtlich zurück, um ihnen notfalls Rückendeckung geben zu können.
»Nach rechts«, rief Jonan Pitlit zu. »Nicht hinaus auf die Parkplätze. Da haben wir zu wenig Deckung. Rüber zu den Hallen, die wir vorhin gesehen haben.«
»Ist gut«, gab Pitlit zurück, ohne sich umzudrehen. Er setzte über eine umgekippte Bank hinweg und lief durch eine Tür, deren Flügel weit offen standen und schräg in den Angeln hingen.
Hinter ihnen schepperte es, als einer der Verfolger versehentlich einen Mülleimer oder etwas Ähnliches umtrat. Carya warf einen raschen Blick über die Schulter. Noch waren die Gardisten nicht zu sehen, aber sie waren ihnen unüberhörbar auf den Fersen.
Wie werden wir die bloß los? , schrie es in ihrem Kopf. Ihr Puls raste. Sie war nicht unsportlich, aber ein Hindernisrennen in einem Trümmerfeld wie diesem forderte rasch seinen Tribut. Lange würde sie die Flucht nicht durchhalten können. Bis dahin mussten sie ein Versteck gefunden haben, das ihnen Sicherheit vor ihren Verfolgern bot.
Vielleicht sollten wir kämpfen , dachte sie. Nein, das war Unsinn. Diese Burschen waren in der Überzahl, vermutlich trugen sie gepanzerte Kleidung, und es handelte sich um ausgebildete Soldaten. Selbst wenn es ihnen gelang, sie zu überraschen und ein oder zwei von ihnen auszuschalten, waren sie ihnen immer noch überlegen.
Also blieb ihnen nur die Hoffnung, dass ihre Verfolger schneller müde wurden als sie. Oder dass sie den Eindruck bekamen, ein paar Streuner – denn für was sonst sollten sie Carya, Jonan und Pitlit halten? – seien die Mühe nicht wert.
Sie sprangen durch ein aufgebrochenes Mauerstück und erreichten einen Gang, der offenbar für Transporte genutzt worden war. Einige Metallgestelle auf vier Rädern standen an der Wand. Fleckige, röhrenförmige Lampen hingen unter der Decke, die natürlich schon lange kein Licht mehr spendeten. Auf den Boden waren verschiedenfarbige Linien gemalt.
Einer dieser Linien folgten sie bis zu einer Doppeltür, die noch intakt, aber zum Glück unverschlossen war. Pitlit stieß sie auf, und sie erreichten eine weitere Plattform an der Außenwand des Zentralgebäudes. Ein rostiger Metallsteg führte über einen etwa zehn Meter breiten und ein Zwölf Meter tiefen Abgrund hinüber zur ersten der fensterlosen Hallen, die sich im Nordosten daran anschlossen.
Ohne zu zögern, rannte Pitlit darüber hinweg. Carya folgte ihm. Die Brücke vibrierte unangenehm unter ihren Füßen, ein Vibrieren, das sich noch verstärkte, als Jonan hinter ihr den Steg betrat. Eine Sekunde lang zuckte ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie vielleicht einen Fehler gemacht hatten.
Im nächsten Moment wurde diese Befürchtung bestätigt. Ein lauter Knall war zu hören, als habe direkt hinter ihnen jemand eine Waffe abgefeuert. Dann sackte mit einem metallischen Kreischen der Boden unter ihren Füßen weg.
Carya entfuhr ein erschrockener Aufschrei. Die hintere Aufhängung der Brücke ist gerissen , begriff sie entsetzt. Rost und der Zahn der Zeit mussten sie spröde gemacht haben, und die ungewohnte Belastung dreier rennender Menschen hatte ihr nun den Rest gegeben.
Carya warf sich nach vorne und krallte ihre Finger in das Gitter, während die Brücke sich unter dem eigenen Gewicht nach unten neigte. Hinter ihr stieß Jonan einen saftigen Fluch aus. Mit einem Ruck kam die Brücke zum Halt. Schmerzhaft prallte Caryas Gesicht gegen das Gitter. Zu ihren Füßen polterte es, und Jonan schrie kurz auf.
»Jonan!«, rief Pitlit, der als Einziger das sichere andere Ende der Brücke erreicht hatte, bevor das Unglück geschah. Der Junge war bei dem Geräusch reißenden Metalls herumgewirbelt und hatte sich zu Boden geworfen. Mit beiden Händen hielt er die Brücke fest, eine tapfere, aber absurde Tat, denn er würde sie niemals halten können, wenn auch die Aufhängung auf seiner Seite nachgab. »Carya, halt durch.«
Sie warf
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