Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
in den Himmel hinauf und drehte dann ab, um in der Finsternis davonzuschießen.
»Wir nehmen sie mit?«, wiederholte der Minister ungläubig. »In den Palast des Kaisers?«
»Ich bitte darum, Minister Justeneau«, sagte Cartagena. »Sie wird unter meinem persönlichen Schutz stehen. Und ich bürge für ihre Taten.« Wie um seinen Worten Gewicht zu verleihen, legte er eine Hand aufs Herz.
»Nun, wie Ihr wünscht.« Justeneau zuckte mit den runden Schultern. »Ich hoffe nur, dass Ihr Euch kein faules Ei ins Nest holt. Seine Majestät mag Euch hochschätzen, aber Eure Position ist nicht völlig unangreifbar.«
»Ich denke, sie ist unangreifbar genug, um dieses kleine … Risiko einzugehen.« Der rot-weiß gekleidete Mann schaute auf Carya hinunter. »Stimmen Sie mir zu, Mademoiselle?«
»Carya«, sagte sie, und sie wusste nicht einmal, warum sie das verriet. »Mein Name ist Carya.« Genau wie die Männer sprach sie nun Francianisch, und es ging ihr erstaunlich leicht über die Lippen.
»Ein schöner Name«, antwortete Cartagena. Er bot ihr die Hand zum Aufstehen. »Ich hoffe, Sie wissen es zu schätzen, dass ich mich für Sie eingesetzt habe, und bereiten mir am Hof des Mondkaisers keine Schande.«
»Ich kann nichts versprechen«, sagte Carya, während sie sich erhob. Sie verzog kurz das Gesicht, als sie den verletzten Fuß belastete. »Aber ich werde mir Mühe geben.«
Zu ihrem eigenen Erstaunen meinte sie das sogar ehrlich. Diese Verfolgungsjagd war entschieden anders zu Ende gegangen, als sie es sich ausgemalt hatte. Sie vermochte nicht zu begreifen, was Cartagena bewogen hatte, ihr zu Hilfe zu kommen. Genauso wenig konnte sie ermessen, was auf sie zukam, wenn man sie an den Hof des Mondkaisers brachte.
Aber sie verspürte keine Angst. Vielmehr war sie neugierig darauf, wie sich die Dinge nun entwickeln würden. Und einstweilen war sie durchaus bereit, mitzuspielen – welches Spiel Cartagena auch immer spielte. Alles ist besser, als hier auf nächtlicher Straße erschossen und anschließend im Gebüsch entsorgt zu werden , dachte sie. Und vielleicht finde ich sogar ein paar interessante Dinge über meine Vergangenheit heraus, wenn ich erst einmal bei Hofe bin. Offensichtlich pflegt der Mondkaiser diplomatische Beziehungen zu den Besitzern der Raketenflugzeuge. Ich bin gespannt, wie lange diese zurückreichen.
Daher ließ sie zu, dass die Soldaten ihren Beutel und den Bogen an sich nahmen und dass Cartagena sie zu dem gepanzerten Motorwagen führte. Sie dankte ihm sogar höflich, als er ihr beim Einsteigen half. Doch als die Türen zufielen und das Fahrzeug brummend Fahrt aufnahm, wanderten ihre Gedanken zu Jonan und Pitlit. Sie fragte sich, was die beiden jetzt unternehmen würden. Und wann sie sie wohl wiedersehen würde.
Schwer atmend schlug sich Jonan durch das Buschwerk eines ehemaligen Parks auf die Straßenunterführung zu, die sie als Treffpunkt ausgemacht hatten. Mittlerweile war es vollkommen dunkel geworden. Von seinen Verfolgern sah und hörte er nichts. Durch seinen Sturz die Metallbrücke hinunter und seine rasche Flucht hatte er sie abgehängt.
Seine Miene verhärtete sich. Nein, das war nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich hatte er nur deshalb so leicht entkommen können, weil sich die Gardisten auf Carya und Pitlit konzentriert hatten. Ihre Verfolger waren zu der Entscheidung gezwungen gewesen, an wessen Fersen sie sich hängen sollten. Und sie schienen zu dem Schluss gekommen zu sein, dass es zunächst leichter war, sich dem Mädchen und dem Kind zu widmen. Möglicherweise hatten sie Jonans Anwesenheit auch gar nicht richtig mitbekommen, weil er schon am Boden der Gasse gelegen hatte, als ihre Verfolger oben im Gang in Sicht gekommen waren.
Er stapfte aus dem Gebüsch hervor und trat in die Schwärze der Unterführung. Um etwas besser sehen zu können, holte er seine Handlampe hervor und knipste sie mit vorgelegtem Rotfilter an. Im Schein der Lampe blickte er auf nackte graue Steinplatten, auf die vor vielen Jahren vermutlich gelangweilte oder zornige Jugendliche Parolen geschmiert hatten, die heute kaum noch erkennbar waren. Neben Jonan befand sich eine Straße, dahinter, abgetrennt durch einen rostigen Zaun, verliefen die Bahnschienen. Zwischen den Gleisen wucherte Unkraut. Einen Moment lang fragte sich Jonan, ob es in Francia wohl noch Züge gab. In Arcadion und dem Einflussbereich des Lux Dei war es nie gelungen, ein zuverlässiges Bahnnetz aufzubauen, obwohl es zu Jonans Lebzeiten
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