Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
Löffel zum Mund führte. Pilar hatte also Schwierigkeiten mit ihrem Vater. »Ich wusste gar nicht, dass sie studiert hat.«
Er pustete auf die Suppe. »Architektur. Aber irgendwann ist sie wegen der Verwandlungen nicht mehr zurechtgekommen.« Iker nickte anerkennend, nachdem er den ersten Löffel Suppe hinuntergeschluckt hatte. »Sie schwänzte die Vorlesungen, trank zu viel und letzten Endes hat sie es ganz aufgegeben. Das hat natürlich am Stolz ihres Vaters gekratzt. Immerhin ist er Uniprofessor.«
»Und er will auch nicht sein Leben lang für das Töchterchen aufkommen.« Kaum waren diese Worte über Naomis Lippen gekommen, fielen ihr die Hausaufgaben für den Spanischunterricht ein. Die würde sie erledigen, bevor Alice und Karsten kämen.
»Es geht ihm eher darum, dass sie ihr Leben in den Griff bekommen soll. Eine Ausbildung, ein guter Job, eine eigene Familie.« Ein Hustenanfall schüttelte Iker.
»Ich gehe besser. Du solltest nicht so viel reden.« Naomi stand vom Bett auf. »Iss die Suppe, die tut deinem Hals gut. Brauchst du sonst noch was?«
Iker schüttelte den Kopf. »Ich komme zurecht.«
»Gute Besserung. Ich sehe später noch nach dir, ja?« Naomi schloss leise die Tür und ging geräuschlos die Treppenstufen nach oben. Die Stille im Haus veranlasste sie, selbst kein Geräusch zu verursachen.
In ihrer Wohnung holte sie das Spanischbuch, das Vokabelheft und die Arbeitsblätter mit ihren Hausaufgaben vom Schreibtisch.
Das Joggen musste sie an diesem Tag ausfallen lassen, was ihre gute Laune erheblich verschlechterte. Doch ihr war klar, dass sie auch übellaunig wäre, wenn sie joggen ginge, anstatt sich um den Spanischunterricht zu kümmern. Das Gespräch mit Iker hatte ihr ein schlechtes Gewissen gemacht. Schließlich finanzierte Romina derzeit ihr Leben.
Naomi brütete über den unregelmäßigen Verben und konjugierte sie im Geiste immer wieder durch.
In ihrer Konzentration hatte sie nicht bemerkt, wie Roman nach Hause gekommen war. Erst als er sie ansprach, blickte sie auf und sah in sein amüsiertes Gesicht.
»Sehe ich richtig? Du lernst allen Ernstes und lauerst nicht in deinen Sportklamotten darauf, dass ich endlich zur Tür hereinkomme, damit du los kannst?« Er setzte sich zu ihr und umarmte sie.
»Morgen ist Sonntag, und da du vermutlich nach deiner Tour mit Karsten verkatert sein wirst, kümmerst du dich um Kai und ich laufe eben doppelt so weit.« Sie kuschelte sich in seine Arme. »Hast du die Aufgaben schon gemacht?«
»Klar, gleich gestern. Nur du bist so faul und gehst lieber Kaffee trinken mit Karsten oder Alice.«
»Wir haben gestern gearbeitet! Nur damit du Bescheid weißt.« Naomi schob beleidigt ihre Unterlippe vor.
»Und, was habt ihr herausgefunden?«
Naomi brummte. »Nichts.«
Tröstend strich er ihr über das Haar. »Hab Geduld.«
»Ich gehe duschen. In einer Stunde kommen Karsten und Alice.« Sie küsste ihn und zwinkerte ihm zu. »Geduld war noch nie meine Stärke, und du weißt das.«
Roman streifte die Schuhe ab, legte die Beine aufs Sofa und lachte.
Naomi holte Chips und Cracker aus dem Küchenschrank, während Roman eine Flasche Wein öffnete. »Ich wünschte, ich könnte offen mit Alice reden. Vor allem heute, wo mir so viel durch den Kopf schwirrt.«
»Hey, ich bin doch auch hier! Also, was beschäftigt dich.« Roman griff nach den Gläsern und stellte sie ins Wohnzimmer.
»Nichts Spezielles. Ich wüsste gerne, was in Katie vorgeht. Ich kenne sie zwar nicht, aber sie gehört trotzdem zur Familie. Und sie muss unbedingt den Mund halten, sonst wird unser Leben nur noch schwieriger.«
»Romina wird sie schon überzeugen. Warum wollte sie sich ihrer Tante anvertrauen? Steht sie ihr näher, als ihrer Mutter?«
Naomi nickte. »Sie sind eigentlich von ihr großgezogen worden. Beide Elternteile arbeiteten, und die Kinder gingen nach der Schule ins Konvent zu Brenda. Dort erledigten sie ihre Hausaufgaben, besuchten täglich die Messe und halfen im Garten oder in der Küche. Darum tut sich Katie vermutlich auch so schwer, sich nicht ihrer Tante anzuvertrauen. Sie wuchs streng gläubig auf und dann, eines Nachts, verwandelte sie sich in einen Panther. Das ist für normale Menschen kaum vorstellbar, aber für eine Christin, die die Bibel liest? Ihr ganzes Weltbild muss verrutscht sein.«
Die Türglocke klingelte.
»Ich gehe schon«, sagte Roman. »Und keine Sorge. Romina regelt das schon. Außerdem hat sie doch Leandra zur Unterstützung dabei.«
Naomi
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