Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
oder eben andere ganz gewöhnliche Dinge tun.
»Viel Erfolg!«, verabschiedete sich Iker, steig ein und hupte zum Abschied.
Karsten schnappte sich Naomis Reisetasche und verzog das Gesicht. »Wir bleiben eine Nacht und du hast gepackt, als würdest du für eine Woche in den Urlaub fliegen.«
»Ich fliege nicht zurück nach Barcelona, sondern direkt weiter nach Mexico City.« Naomi nahm ihm die Tasche ab. »Ich erzähl es dir, sobald ich sicher bin, dass wir keine Zuhörer haben. Und jetzt komm. Sonst verpassen wir noch das Flugzeug.«
Naomi und Karsten gingen zum Check-in-Schalter, hinter dem eine gelangweilte Dame saß. Nachdem sie das Gepäck abgefertigt hatte, druckte sie die Bordkarten aus und lächelte professionell. »Tut mir leid, dass Sie nicht zusammensitzen können. Die Maschine ist ausgebucht und Sie sind die letzten Passagiere. Bitte gehen Sie umgehend zum Fluggate.«
Karsten hetzte voraus und Naomi hechelte grinsend hinterher, weil sie ihren Freund bisher noch niemals in Hektik gesehen hatte. Auf einem großen Flughafen hätte sie selbst befürchtet, den Flug zu versäumen, aber Barcelona war übersichtlich. Als sie das Gate erreichten, saßen die anderen Passagiere noch auf ihren Plätzen in der Wartehalle.
»Sag mal, hast du Schiss deinen Flieger zu verpassen?« Naomi lachte lauthals los. »Wenn ich es mir genau überlege, hast du damals auch extrem gedrängelt, pünktlich loszufahren, als ich dich an den Flughafen von Bangor gebracht habe. Deswegen hatte ich die Ehre, drei Stunden zu warten, bis du endlich in der Luft warst, weil Alice nicht vorher gehen wollte. Das war also kein Zufall!«
»Wenn du es weitererzählst, muss ich dich töten«, feixte Karsten. »Ich weiß nicht warum, bei jeder Unterrichtsstunde, bei jeder Verabredung bin ich zu spät, aber bei Flugreisen liegen meine Nerven blank.«
»Ich schweige, versprochen.« Naomi hakte sich bei Karsten ein. »Klammerst du dich während des Flugs an den Armlehnen fest?«
»Sehr witzig.«
Das Boarding begann und Naomi grinste verstohlen, weil sie eine neue Seite an ihrem sonst so souveränen Freund entdeckt hatte.
Karsten saß sieben Reihen hinter Naomi, ebenfalls am Gang. Zu weit entfernt, um miteinander zu reden. Die eineinhalb Stunden Flugzeit verbrachte sie damit, bunte Bilder im Bordmagazin anzusehen. Sie erkannte zwar einzelne Worte, doch zusammenhängende Sätze zu lesen, vermochte sie nicht. Auch ihr Sitznachbar gab es nach zehn Minuten auf, mit ihr ein Gespräch führen zu wollen, da sie ihn einfach nicht verstand. Jetzt ärgerte sie sich darüber, für den Flug nicht das Vokabelheft in ihre Handtasche gepackt zu haben; das steckte zwischen ihren Socken in ihrer Reisetasche, und die befand sich im Flugzeugbauch.
Nachdem sie ihr Gepäck abgeholt hatten, gingen Naomi und Karsten zu einem Taxistand. »Zuerst ins Hotel, oder fangen wir gleich an?«
Karsten überlegte kurz. »In der Uni gibt es bestimmt eine Cafeteria. Und wenn nicht, dann finden wir in der Nähe sicherlich irgendwo ein Café.«
»Ich dachte, wir fahren zum Stadtarchiv.«
»Alles, was älter als einhundert Jahre ist, befindet sich im historischen Archiv der Universität. Deswegen brauchte ich auch die Genehmigung meines Professors.«
»Also, ab zur Uni!« Naomi drückte dem Taxifahrer ihre Reisetasche in die Hand und setzte sich auf den Rücksitz.
Karsten warf seine Tasche in den Kofferraum, nahm auf der Beifahrerseite Platz und nannte dem Fahrer ihr Ziel.
Der Taxifahrer fuhr gemächlich vom Flughafengelände in Richtung Westen. Kaum hatte er das überwachte Gelände verlassen, bretterte er in halsbrecherischem Tempo über die Zubringerstraße, bis sie den Stadtrand erreichten. In der Innenstadt drückte er sich in jede mögliche Lücke, überholte links oder rechts, sodass Naomi jeden Moment mit einem Zusammenstoß rechnete.
Nach dreißig Minuten umrundete er einen Park, bog von der vierspurigen Straße in eine Seitenstraße ein, und das Universitätsgebäude ragte zweigeschossig direkt vor ihnen auf. Das prächtige Gemäuer mit den aufragenden Türmen erinnerte Naomi mehr an ein prunkvolles Kloster, als an eine Universität. Das quadratische Gelände bestand aus gepflegten Rasenflächen, auf denen Palmen und Bananenstauden in den Himmel ragten.
Das Taxi hielt. »Ya estámos. Calle San Fernando número cuatro.« Er drückte auf den Taxameter. Karsten kramte in der Hosentasche nach seiner Geldbörse und bezahlte.
Naomi stieg aus und wartete, bis der Fahrer
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