Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
anderen Seiten sah man den blanken Beton. Die Fenster waren vergittert und meist sicherte ein Stacheldraht auf der Mauer das Grundstück. Über den Straßen hingen dicke Stromkabel freischwingend von Haus zu Haus, teilweise mit Papierfahnen geschmückt; vermutlich die Reste eines Straßenfests oder Umzugs.
Die Häuser wichen Hütten, die Straßenbefestigung schien nur noch aus Löchern zu bestehen, und Naomi beobachtete aus dem Fenster, wie herumtobende, halb nackte Kinder abwechselnd in ein mit Wasser gefülltes Regenfass sprangen.
Leandra zeigte auf die Kinder. »Die haben ihren Spaß, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass es gesund ist, in diesem Wasser zu baden.«
»Sie haben nichts anderes, wie man sieht.« Romina schlang die Arme um sich. »Wenn uns der Taxifahrer hier aussetzt, dann läuft hier jeder um sein eigenes Leben.«
Naomi lachte. »Ich wusste gar nicht, dass du so ängstlich bist.«
»Nur in Gegenden, in denen ich mich nicht auskenne«, erwiderte Romina.
Naomi zeigte auf eine Gruppe Männer, die am Straßenrand auf einer Mauer saß und sich angeregt unterhielt. »Angsthase. Sieh dir die Menschen hier an. Sie machen keinen Angst einflößenden Eindruck, wie sie so gemütlich herumsitzen und plaudern.«
Der Fahrer folgte dem führenden Taxi und bog wieder auf eine Bundesstraße ein, die weiter durch eine bergige Landschaft Richtung Süden führte. Die Strecke bestand aus einer gut ausgebauten und mautpflichtigen Schnellstraße.
Naomi betrachtete die angestaubten Sträucher am Wegesrand, bis sich nach dreißig Minuten die Landschaft veränderte. Einzelne Waldstücke säumten den Weg; Wohngebiete tauchten nur noch vereinzelt auf.
Zwanzig Minuten später verließen die Fahrzeuge die befestigte Straße und der Weg führte über Schotterpisten hinein in dicht bewaldete Berge. Sporadisch tauchten schlichte, bunt gestrichene Häuser auf, die sich an den Hang schmiegten.
»Ob Brenda hier in der Gegend als Missionsschwester gearbeitet hat?«, fragte Naomi.
»Vermutlich nicht. Sonst bräuchte sie keinen Führer, um hierherzufinden«, erwiderte Leandra.
»Nach fünfzehn Jahren ist es vermutlich nicht so einfach, den Weg wiederzufinden«, meinte Romina.
Der Taxifahrer vor ihnen stoppte, nachdem sie in eine so schmale Gasse eingebogen waren, dass ein Öffnen der Tür unmöglich schien. Beide Fahrzeuge mussten zurücksetzen, bis ausreichend Platz zum Aussteigen vorhanden war.
Matlal und Brenda stiegen aus und Brenda kam zum Wagen. »Von hier aus geht´s zu Fuß weiter.«
»Irgendwie habe ich befürchtet, dass sie das sagen würde«, meinte Leandra. »Hoffentlich schaffe ich das.«
»Oma, das packst du doch mit links. Drück einfach Matlal deine Reisetasche in die Hand. Er sieht aus, als ob er uns alle auf einmal tragen könnte.« Naomi klopfte Leandra aufmunternd auf die Schulter, stieg aus dem Wagen und ging zu Matlal. Brenda bezahlte die Fahrer, die sich mit einem kräftigen Hupen von ihnen verabschiedeten und auf den Rückweg begaben.
»Wie weit müssen wir denn gehen?«, fragte Naomi.
Brenda besprach sich mit Matlal und übersetzte: »Es sind nur dreihundert Meter diese Straße hinunter. Man hätte auch über eine große Schleife direkt zum Haus fahren können. Matlal wollte aber die überflüssigen Taxikosten sparen und dachte außerdem, wir würden mit den Fahrzeugen durch diese enge Straße passen.«
Links und rechts der schmalen Straße verbargen sich die Wohnhäuser hinter hohen Mauern. Hochgewachsene Bäume beschatteten die Gasse. Naomi breitete die Arme aus und konnte beinahe zu beiden Seiten die Mauersteine berühren, was ihr ein Lachen entlockte. Es mit einem Auto durch diese Gasse zu versuchen, barg definitiv das Risiko, darin stecken zu bleiben.
Leandra seufzte. »Die paar Meter schaffe ich dann doch noch.« Sie schulterte ihre Reisetasche.
Matlal schüttelte den Kopf und griff nach Leandras Gepäckstück sowie der Reisetasche von Brenda.
Romina sah zu Naomi. »Du bist wenigstens so jung, wie du aussiehst. Ich habe in diesem Fall wohl Pech gehabt.«
»Tja, es hat eben alles seine Vor- und Nachteile«, sagte Leandra lächelnd.
Matlal schritt die teilasphaltierte Straße entlang. Brenda ging neben ihm her und unterhielt sich mit ihm auf Náhuatl.
Leandra hakte sich bei Naomi unter und beobachtete Romina, wie sie versuchte, durch ein Gartentor einen Blick auf ein Grundstück zu erhaschen.
Sie bogen zwei Mal nach rechts ab und betraten eine breitere Gasse. Vor einem rot
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