Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
Zwillinge.«
»Leandra. Hörst du mich?« Romina tätschelte ihr die Wange. »Iker, holst du bitte ein kaltes Tuch. Und einen Schnaps kannst du auch gleich mitbringen. Den wird sie nachher brauchen.« Sie fühlte Leandras Puls. »Fast normal. Bald kommt sie zu sich.«
Ohne ein Wort zu sagen, beobachtete Naomi das Geschehen. Ihre Urgroßmutter Romina kauerte neben ihrer fast siebzigjährigen Großmutter und wirkte dabei keinen Tag älter als dreißig. Naomi stand vor ihrer dreißigjährigen Urgroßmutter. Ihre eigene Mutter sah älter aus. In den Briefen hatte sie gelesen, Romina würde nicht altern, aber irgendwie war das nicht wirklich zu ihr vorgedrungen. Es überstieg ihre Vorstellungskraft.
Naomi setzte sich im Schneidersitz auf den Fußboden und versuchte zu begreifen, was hier vor sich ging. Sie hörte die Stimmen, doch verstand sie die gesprochenen Worte nicht.
Erst als Iker sich zu ihr hinab beugte, blickte sie auf.
»Man gewöhnt sich daran. Leandra ist zu sich gekommen. Geht´s bei dir?« Er hielt ihr ein Glas Wasser hin. »Hier. Trink einen Schluck.«
Widerspruchslos griff sie nach dem Glas und leerte es. »Danke.«
Romina saß reglos an Leandras Seite. Lautlos weinte sie. Die Tränen liefen ihre Wangen hinab und tropften ihr vom Kinn. Mit der Hand strich sie ihrer Tochter über die Stirn. »Es tut mir unendlich leid«, flüsterte sie.
Leandra setzte sich auf. »Das muss es nicht. Du konntest nicht anders. Es ist nur so ... unfassbar. Du hast dich nicht verändert.«
Iker half Naomi auf die Beine. Bewegungslos blieben sie stehen, um Romina und Leandra nicht zu stören. Nach über sechzig Jahren sahen sie sich zum ersten Mal wieder in die Augen.
Leandra wischte Romina die Tränen fort. »Endlich. Ich dachte, ich würde dich niemals wiedersehen.«
»Ich habe dich oft beobachtet. Ohne dich zu sehen, zu wissen, wie es dir geht, hätte ich all die Jahre nicht durchgehalten. Ich musste wissen, wie und wo du lebst. Die erste Zeit war ich mir noch unsicher, ob du zum Clan gehörst. Ich war noch zu unerfahren. Bald merkte ich, dass du von diesem Fluch verschont bliebst. Auch bei deiner Tochter erkannte ich sehr früh, dass sie nicht zu uns gehörte.« Sie drehte sich zu Naomi. »Bei dir gab es keine Zweifel. Ab da ließ mich der Gedanke nicht mehr los, durch dich meine Tochter zurückzubekommen.«
»Was nun geschehen ist«, flüsterte Leandra.
Romina nickte. »Weil du den Brief nicht vernichtet hast.«
»Ich konnte nicht.« Leandra knetete ihre Hände. »Erst hatte ich Angst um Luna, später dachte ich, er könnte Naomi nützlich sein.«
Naomi setzte sich den beiden gegenüber in einen Sessel. »Und wie geht es jetzt weiter?«
Romina erhob sich. »Ich werde mein Wissen an dich weitergeben. Vielleicht hast wenigstens du eine kleine Chance, irgendwann glücklich zu werden.«
»Wann fangen wir an?«, fragte Naomi. Sie konnte es kaum erwarten, endlich mehr über sich und ihre Art zu erfahren. »Und was mich schon die ganze Zeit brennend interessiert. Warum hast du mich neulich im Wald einfach zurückgelassen?«
»Das werde ich dir erklären, wenn wir unten sind.« Romina streckte Leandra die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen.
Leandra schnaubte laut auf. »Ich sehe vielleicht älter aus als du, aber aufstehen schaffe ich noch alleine.« Mit einem Satz sprang sie auf die Beine.
»Ich weiß, ich sollte das nicht sagen.« Iker kratzte sich am Kopf. »Aber Naomis Schwangerschaft verkompliziert alles.«
Naomi zog hörbar die Luft ein. In diesem Haus durfte sie an gar nichts denken. Hatte sie wirklich heute an das Baby oder an Roman gedacht?
»Nicht heute«, erklärte Iker. »Das weiß ich schon seit gestern. Und über das andere Thema reden wir später.«
Leandra sah von Iker zu Naomi. Da sie offensichtlich nicht nachvollziehen konnte, worum es ging, zuckte sie ratlos mit den Schultern und betrachtete ausgiebig Romina, die den Schlagabtausch zwischen Iker und Naomi mit einem Lächeln quittierte.
Naomi kannte diesen Blick in den Augen ihrer Großmutter. Es handelte sich um denselben ungläubigen Ausdruck, wie damals, als sie sich nicht von ihrer Abreise nach Maine hatte abbringen lassen.
Sie selbst konnte kaum glauben, wie jung Romina aussah. Aber das war nicht ungeheuerlicher, als die Tatsache, sich bei Vollmond in einen Panther zu verwandeln, oder heimlich jeden kleinsten Gedanken von Iker aus ihrem Kopf gestohlen zu bekommen.
»Du bist also von Roman schwanger?«, fasste Romina nach. »Im
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