Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
unmöglich. Sie kannten sich kaum, und die Entfernung ließ ein besseres Kennenlernen kaum zu.
»Was macht eigentlich Sammy?« Alice kramte in ihrer Handtasche. »Taucht er immer noch bei dir auf?« Sie zog ihr Lipgloss hervor und klappte den Make-up Spiegel herunter.
»Wir treffen uns regelmäßig. Mal kommt er vorbei oder wir sehen uns zum Mittagessen in der Mensa. Warum fragst du?«
»Nur so. Er tut mir ein bisschen Leid.« Alice presste die Lippen zusammen und verrieb das Gloss. »Übrigens, der Spiegel hat einen Sprung. Schminken kann sich da niemand.«
Naomi beschleunigte, und die Bäume sausten an ihnen vorbei. Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich glaube kaum, dass sich Roman schminkt.« Obwohl sie auf gerader Strecke fuhr, blickte sie prüfend immer wieder in den Rückspiegel. Ein nachtblauer, vielleicht auch schwarzer Wagen fuhr hinter ihrem her. Das Fahrzeug sah genauso aus, wie das Auto, das schon den ganzen Weg zum Einkaufszentrum hinter ihr hergefahren war. Zumindest war es sehr ähnlich. In der Eingangspassage hatte sie sogar geglaubt, Sammy gesehen zu haben. Und nun dieser Wagen. Naomi presste die Lippen aufeinander. Sie litt eindeutig an Verfolgungswahn. »Sammy muss dir nicht Leid tun. So, wie ich das mitbekommen habe, hat er schon eine Neue am Start, wenn er auch das Gegenteil behauptet. Trotzdem bin ich mir sicher. Kürzlich hat er sich vor mir versteckt, als er mich sah. Als ich ihn gerufen habe, war er verschwunden, aber eine hübsche Brünette bog um die Ecke. Ich glaube, er wollte nicht, dass ich sie zusammen sehe.«
»Dann ist ja gut. Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen deswegen.« Alice schaute auf die Uhr. »Um acht bin ich im Chat verabredet. Tritt also aufs Gas, ja?«
Naomi beschleunigte. Verfolgungswahn oder nicht, der Fahrer des Fahrzeugs hinter ihr erhöhte das Tempo ebenfalls. Einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie Alice davon erzählen sollte. Ihre Freundin würde lachen und fragen, wo der Wagen denn sonst fahren sollte, wenn nicht auf dieser Straße. Es war außer der Autobahn der einzige Weg, der von Bangor nach Stillwater führte. Das ungute Gefühl in ihrer Magengegend blieb, bis der dunkle Wagen in Stillwater irgendwann nicht mehr hinter ihr fuhr. Ihre Fantasie hatte ihr einen Streich gespielt. Fünf vor acht Uhr hielt Naomi vor dem Studentenheim. Alice hechtete mit einem knappen Winken aus dem Wagen. Naomi ließ die Scheibe herunter. »Grüß Karsten von mir!«
Alice drehte sich herum und streckte ihr die Zunge heraus. »Und du Roman.«
Zwölf
Die Kaffeetasse zersprang in tausend Fetzen. »Verdammt!«, fluchte Naomi. Sie sah an sich hinunter. Erleichtert atmete sie auf. Immerhin war das Kleid nicht mit Kaffeeflecken übersät. Nur ein Tropfen war am Saum zu sehen. Sie stapfte ins Badezimmer, befeuchtete eine Handtuchecke und rubbelte vorsichtig an dem Spritzer. Das Ergebnis war eine große, nasse Stelle. »Verdammt, verdammt, verdammt! Warum jetzt?«
Das smaragdgrüne Kleid war nun mit einer dunklen Stelle verdorben. In dreißig Minuten würde Roman vor der Tür stehen. Bis dahin wäre es nie trocken. Warum hatte sie es auch schon angezogen? So etwas hatte an diesem Tag ja passieren müssen. Zuvor war sie auf der Treppe gestolpert und gegen die Wand gedonnert. Es zeichnete sich jetzt schon ein dunkler Fleck an ihrer rechten Schulter ab, der im Laufe des Abends perfekt zum Kleid passen würde, wenn er sich nicht gleich dunkelblau verfärbte. Sie wusste beim besten Willen nicht, was mit ihr los war. Schon beim Aufstehen war sie nervös und fahrig gewesen. Sie würde sich fürchterlich blamieren. Mit Sicherheit brächte sie den Abend nicht souverän hinter sich, würde stolpern oder vielleicht am Tisch ein Glas umstoßen. Sie war den Tränen nahe. Wenn sie wenigstens ein Bügeleisen hätte, dann könnte sie das Kleid trockenbügeln. Der Fön fiel ihr ein. 1800 Watt. Das sollte reichen.
Naomi richtete den Fön mit respektvollem Abstand auf die nasse Stelle. Sie konnte nicht riskieren, dass die heiße Luft den zarten Stoff beschädigte. Der Fleck wurde heller. Der Kaffeefleck war verschwunden; was blieb, war ein hässlicher Wasserrand.
Naomi drehte sich vor dem Spiegel. Egal, wie sie sich drehte, der Rand war deutlich zu erkennen. Daran ließ sich nichts mehr ändern. Sie legte sich ein Handtuch um die Schultern, nicht, dass sie beim Schminken noch mehr Unheil anrichtete. Naomi tuschte sich gerade die Wimpern, als es an der Tür klopfte und
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