Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
als sie sich Bangor näherten. Er kaute auf den Lippen und starrte auf Cassidys Wagen vor ihm. Sie fuhr an der Flughafenausfahrt vorbei. Wenig später nahm sie die Ausfahrt auf die Interstate 395 in Richtung Brewer. Erleichtert pfiff Sammy eine Melodie vor sich hin, bis ihm einfiel, dass auch Brewer einen nationalen Flughafen hatte. Das Lied erstarb auf seinen Lippen. Er biss die Zähne aufeinander und begann zu schwitzen.
Fünf lange Meilen bangte er, bis sie die Ausfahrt 6A in Richtung Ellsworth und Bar Harbor nahm. Zum Flughafen wollte sie also nicht. Aber wohin zum Teufel fuhr sie? Sammy schielte auf die Tankanzeige. Weit würde er damit nicht mehr kommen. Er verfluchte sich, weil er vergessen hatte, vorher zu tanken. Aber er hatte nicht wissen können, dass Cassidy Stillwater verlassen würde. In seiner Aufregung war er zu dicht aufgefahren. Er ließ sich zurückfallen, bis sich drei Fahrzeuge zwischen Cassidys und seinem Fahrzeug eingefädelt hatten und beschleunigte das Tempo wieder, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Meile um Meile legten sie zurück. Erst als sie Ellsworth passierten, dämmerte Sammy allmählich, wohin sie fahren wollte. Cassidy fuhr ans Meer. Doch wohin genau? Es gab unzählige Ortschaften und Buchten. Sie konnte noch fünfzig Meilen fahren. So lange würde seine Tankfüllung nicht mehr ausreichen. Dreißig, mit viel Glück sogar fünfunddreißig Meilen. Er folgte ihr auf der ME 3, bis sie Thompsons Island überquerten. Cassidy verlangsamte das Fahrtempo. Offensichtlich betrachtete sie die Umgebung. Sammy ließ sich weiter zurückfallen, als die Fahrzeuge vor ihm Cassidys Wagen überholten. Links und rechts der Straße glitzerte der Ozean im Sonnenlicht und ließ das flache Wasser am Küstenstreifen türkis leuchten. Sammy lächelte. Sollte sie diesen Ausblick ruhig genießen, lange würde sie nicht mehr die Gelegenheit dazu haben.
Fünf Meilen folgte er ihr über die ME 198, bevor sie den Sound Drive entlangfuhren. Zufrieden trommelte er im Takt der Radiomusik mit den Fingern gegen das Lenkrad. Es gab nur wenige Straßen, die zu den einzelnen Ortschaften, auf dieser vom Meer eingeschlossenen Insel führten. Der einzige Verbindungsweg zum Festland führte über Thompsons Island. Das Risiko ihr Fahrzeug hier noch aus den Augen zu verlieren, ging gegen Null. Nun kannte er ihr Ziel. Cassidy wollte offensichtlich ein paar Tage im Acadia Nationalpark verbringen. Sammy folgte ihr bis zum Jordan Pond, wo Cassidy vor einem kleinen Cottage ihren Wagen abstellte. Sie waren angekommen.
Sammy wartete noch, bis Cassidy mit einem Schlüssel aus dem Haupthaus kam und ihr Gepäck aus dem Kofferraum nahm. Dann fuhr er weiter, auf der Suche nach einer Tankstelle und einem billigen Zimmer in der Nähe. Ein Zimmer mit Blick auf den See konnte er sich nicht leisten, zumal er nicht wusste, wie viel Zeit er hier verbringen musste.
*
Naomi spazierte den ganzen Nachmittag durch Stillwater. Sie hoffte, irgendwo Sammy zu entdecken. Was sie dann machen würde, wusste sie zwar nicht, aber immerhin wüsste sie, ob er sich noch hier herumtrieb. Als die Dämmerung hereinbrach, machte sie sich auf den Rückweg ins Wohnheim. Roman wollte sie zum Essen abholen.
Der Tag war sonnig und warm gewesen, doch nun fiel die Temperatur, und sie fröstelte. Sie ging über die Brücke und sah auf den Fluss hinaus. Das Wasser war noch kalt. Durch die Wärme des Tages entstanden zarte Nebelschwaden. Sie verharrte auf der Brücke und dachte nach. Sammy war wie vom Erdboden verschluckt. Niemand hatte ihn gesehen. Bei Alice hatte er sich seit dem letzten Vollmond nicht mehr gemeldet. Naomi hatte zwei Mal versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Doch Sammy nahm das Gespräch nicht an. Es klingelte durch, bis der Anrufbeantworter ansprang. Sie hatte keine Nachricht hinterlassen. Was hätte sie auch sagen sollen? Sammy wusste, was Kai ihr über ihn erzählt haben musste. Er hatte bisher nicht zurückgerufen. Vielleicht war er inzwischen weit weg, und sie machten sich unnötig Sorgen. Cassidy war vorerst irgendwo beim Klettern und damit in Sicherheit. Ob Roman in Gefahr war? Vermutlich übertrieb Kai in seinen Erzählungen. Sammy war ihr gegenüber niemals aggressiv oder feindselig gewesen. Täuschte sich Kai vielleicht? Vermutlich nicht, dachte sie niedergeschlagen. Naomi drehte sich um und ging weiter.
Als sie vor ihrem Wohnheim ankam, wartete Roman bereits auf sie. »Ich bin zu früh. Wir hatten sieben Uhr
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