Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Fenster über mir wurde geschlossen.
Die Gläser waren wieder nachgeschenkt, als ich am Tisch Platz nahm.
»Er hat wahrscheinlich gar keinen Betrug begangen. Hier, das ist aus meinen Recherchen.«
Ich versuchte den italienischen Zeitungsartikel zu entziffern.
»Habe ich ausgerechnet im Archiv des Osservatore Romano gefunden.Darin wurde ein Dottore Simonte als Spezialist für ausgleichende Geldgeschäfte zwischen Rom und der süditalienischen Kirche lobend erwähnt. Das heißt, er ist auf Geldwäsche spezialisiert.«
»Verstehe ich nicht«, gab ich zu.
»Er hat den Betrug konstruiert und den Direktor damit ins Messer laufen lassen.«
Er hat nicht betrogen. Er hat den Betrug nur nicht gemerkt. Der Ausspruch von Simonte bekam plötzlich Sinn. Da Kriminalität nicht zu meinem Spezialgebiet gehörte, sah ich zwar ein gewisses Geflecht zwischen den Personen, aber einen handfesten Zusammenhang mit den dubiosen Dokumenten vermochte ich nicht zu erkennen.
Der Banker hatte sich mit dem Wissen von Gerster und Solvay einen Vorteil durch Erpressung verschafft. Der Doktor könnte sich mit der Geldmanipulation gerächt haben. Dann musste der Professor mundtot gemacht werden, und der Bankdirektor zog sich als Zeuge selbst aus dem Verkehr. Bis dahin konnte ich nichts Unlogisches finden, außer dass der Selbstmörder nicht den geringsten Versuch unternommen hatte, sich mit einem Abschiedsbrief zu erklären.
»Haben Sie den Banker umgebracht?«
Gerster riss die Augen auf und starrte mich an, als sei ich eine Erscheinung.
»Sind Sie komplett verrückt?« Seine Stimme steigerte sich in ein hysterisch hohes C. »Warum sollte ich? Ich versuche nur, mein Eigentum zu behalten. Aber nicht mit Mord! Nein, nein mein Lieber, da liegen Sie bei mir falsch. Da laufen andere herum, die wirklich ein handfestes Interesse an seinem Ableben hätten.«
»Wer zum Beispiel?«
Er fuchtelte mit den Armen herum, schnappte nach Luft ... »Jeder Wirt vom Münster hätte Interesse daran, denn egal an wen sie ihre Pacht zahlen, das Geld ging alles an diesen Aasgeier.«
»Schon gut«, beschwichtigte ich ihn. Er war zwar ein Schlitzohr, aber für einen Mord hatte er nicht die Nerven.
»Was, zum Teufel, wollten Sie in der Solvay’schen Wohnung? Dieser Stammbaum ist doch eigentlich nichts wert.«
»Doch. Sehen Sie. Hier ist ein Code, der genau bezeichnet, in welchem der vielen Ordner welche Notiz abgeheftet war. Er ist eine Art Lageplan zu den Notizen des Professors, die ich in der Wohnung gefunden habe.«
Er schlug den Stammbaum auf.
Ich hatte die fast mikroskopisch kleinen Zahlen-Buchstaben-Kombinationen an den Stammbaumästen nicht beachtet oder ihnen keine Bedeutung beigemessen.
»Und hier«, er schlug die Mappe von hinten auf, »ist der Schlüssel, den mir der Professor noch erklärt hat, wie das zusammenzusetzen ist.«
»Und das haben Sie alles in weniger als einer Stunde, in der niemand in der Wohnung war, zusammengesucht?«
»Wenn man erst weiß, wonach man suchen muss, ist das kein Problem.« Ein gewisser Stolz schwang in seinen Worten mit.
»Verstehe ich nicht«, knurrte ich. »Das erklärt immer noch nicht, warum Sie so einen Saustall hinterlassen haben. Sie hätten doch die Tochter informieren können, und was sollte der Zettel für mich in der Küche?«
Gerster druckste herum und suchte nach einer Erklärung. »Ich habe keine Unordnung hinterlassen. Es sollte ja niemand merken, dass etwas fehlt. Als ich jemand kommen hörte, habe ich mich in der Garderobe versteckt und gewartet, bis ich verschwinden konnte. Von einem Zettel weiß ich nichts, und die Tochter mit einzubeziehen hatte mir der Professor verboten. Er wollte sie wohl schützen.«
»Und das alles haben Sie Pater Lutz gebeichtet?«
»Na ja, nur dass ich gegen das siebte Gebot verstoßen habe und bei wem und wozu. Details wollte er nicht wissen.«
»Und der hat Ihnen geraten, mich einzuweihen?«
Zwei weitere Flaschen Bier verließen den Ofen.
»Mir wurde unheimlich, und da wollte ich das ganze Zeug dem Pater für seine Bibliothek geben. Aber der meinte, dass es bei Ihnen besser aufgehoben sei ... und wenn Sie mich nicht heute überrascht hätten, dann hätte ich Sie morgen informiert.«
Das konnte ich glauben oder auch nicht. Tatsache war, dass meine Vermutung durch die Aufzeichnungen des Professors bestärkt wurden. Der oder die Unbekannten brauchten Dokumente, die es nur in einer einzigen Ausfertigung zu geben schien. Als Beweis ... für was?
»Oder um alle Beweise
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