Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Simonte, also der Bruder der Comtessa.«
»Hoppla«, entfuhr es mir. »Warum verschwindet er dann spurlos? Das passt nicht in den italienischen Familiensinn.«
Gerda lächelte gequält, ging ins Wohnzimmer und kam mit einer dünnen Mappe zurück.
»Simonte hat Enrico als Pächter auf das MünsterCafé gesetzt. Aber ... und jetzt kommt der vermeintliche Familienzusammenhalt, nachdem das Geschäft brummte«, sie hielt mir eine Bilanz von vor zwei Jahren hin, »befand Dr. Simonte, dass es Zeit sei, dass sein Schwager mal ein wenig mehr für die Familie tun solle, als nur Pacht zu bezahlen.« Sie hielt mir die Bilanz des vergangenen Jahres hin. »Siehst du den Unterschied?«
Der Gewinn vor Steuern war nahezu auf null gerutscht.
»Und das, obwohl es kein schlechteres Jahr war und sich der Waren-und Personaleinsatz nur unwesentlich verteuert hatte. Gut, Simonte hatte die Pacht angepasst, abernicht so,dass sich der Gewinn derart schmälerte. Kannst du mir das erklären?«
»Ganz einfach. Da wurden Einnahmen nicht verbucht.«
»Und wo sind die? Bei mir sind sie nicht.«
»Wer machte die Buchhaltung?«
Gerda grinste wie ein Teufelchen. »Einmal darfst du raten.«
Simonte.
»Das erklärt die Zusammenhänge nicht. Komm bitte auf den Punkt. Ich habe keine Lust mehr zu raten.«
Simonte hatte daraufhin seinen Schwager vor die Tür gesetzt und wegen Betrugs angezeigt. Dabei hatte er Wert darauf gelegt, dass die Solvays ebenfalls eine negative Erwähnung in der Presse fanden. Enrico sei darauf über Nacht verschwunden und nicht mehr aufzufinden gewesen. »Und dann«, endete Gerda, »habe ich Vermisstenanzeige erstattet und die vermeintlichen Schulden mit Hilfe meines Vaters ausgeglichen.«
Mein Misstrauen war immer noch nicht besiegt. »Warum besteht dann die Betrugsanzeige noch, wenn diese dubiosen Verluste ausgeglichen wurden?«
Sie stützte den Kopf in die Hände und schaute ins Leere. Nach einer quälend langen Pause schüttelte sie den Kopf, als befreie sie sich von etwas.
»Er musste Enrico loswerden ... Lisa ist seine uneheliche Tochter.«
Mir war plötzlich, als überrollte mich eine Planierraupe.
»Und ... ähm ... Enrico wusste das?«, versuchte ich das Chaos in meinem Kopf wieder in Bahnen zu lenken.
»Ja.«
»Und Lisa?«
»Weiß von nichts.«
Diese Verhältnisse waren mir zu hoch, und ich nahm eine Wanderung durch die Wohnung auf, wie ich es immer tat, wenn ich Zusammenhänge herzustellen versuchte.
Seufzend ließ ich mich im Wohnzimmer neben die Cognacflasche fallen und goss zwei Gläser ein.
Gerda setzte sich auf die Sofalehne und schaute mich wie ein bettelndes Hündchen an.
»Zahlt er denn wenigstens für seine Tochter?« Das war jetzt etwas gemein, aber es war mir egal. Kinder sind unser Kapital und so. Ich hatte die Stimme des geschniegelten Anwalts noch im Ohr. Ob er Lisa als Kind anerkannt hatte, danach fragte ich erst gar nicht. Da hätte sicher auch seine Frau, die sogenannte Comtessa, ein Wörtchen mitzureden gehabt ...
Der Schwenker kreiste in Gerdas Hand und ließ das Getränk in auf-und abwogenden Wellen am Glas laufen.
»Ich wollte das damals nicht. Aber das begreifen Männer nicht.«
Das war für mich als Junggeselle allerdings nicht nachvollziehbar. Auch wenn mein nicht sehr positives Verständnis vom weiblichen Geschlecht wieder eine negative Bestätigung gefunden hatte, tat mir diese Enthüllung mehr weh, als ich zugeben mochte. Meine kleine Hoffnung, in ihr vielleicht doch eine passende Partnerin gefunden zu haben, löste sich wie eine angeeckte Seifenblase auf.
»Reist du jetzt ab?«
Es klang mehr wie eine Befürchtung als eine Frage, und ihre Augen färbten sich wieder in Richtung Tränen.
»Ich überlege es mir, wenn du mir noch erklärst, warum du Lisa verstecken musst.«
»Flavio ... ich meine, Dr. Simonte drohte mir, ich solle ja nichts über dieses Verhältnis erzählen, sonst würde man auch für Lisa eine Vermisstenanzeige aufgeben können.«
»Ach, und dann hat er deinen Vater auch noch gebeten, für ihn in der Vergangenheit zu graben.Das soll ich glauben? Was soll das gewesen sein?«
»Keine Ahnung. Da weißt du mehr als ich, und deshalb brauche ich dich.«
»Nur dafür?« Im gleichen Augenblick tat mir die Frage leid, und ich hieß mich das, was ich nun einmal war. Einen dummen alternden Gockel.
»Nein. Nicht nur dafür. Aber bei Männern blicke ich manchmal nicht durch und sehe sie wahrscheinlich mehr als Vater und Beschützer. Das braucht seine
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