Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Küchentuch und schleuderte sie mit kreisender Armbewegung.
»Sie haben recht. Etwas stimmt da nicht. Der Schlüsselbund meines Mannes hängt am Empfang. Passen Sie aber darauf auf. Da ist der Generalschlüssel für alles dran.«
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, versuchte ich einen nicht zu unhöflichen Abgang.
»Momentan nicht. Danke. Das musste ja mal mit dem ollen Suffkopf passieren. Tot oder im Krankenhaus bringt er auf jeden Fall mehr Geld als besoffen und gesund.«
Ich musste mich zusammennehmen, um nicht in helles Gelächter auszubrechen.
Einige Minuten später setzte mich das Taxi auf Ottos Hof ab.
Die Haustür stand offen, der Handwagen lehnte am Schweinekoben.
Die Stube glich langsam mehr einem Müllhaufen als einer menschlichen Behausung. Die Hühner pickten in zertretenen Gemüse-und Obstresten. Der Hahn hatte sich auf einer Stuhllehne einen Aussichtsplatz geschaffen. Wie die Kotreste am Boden zeigten, schon seit einigen Tagen.
Die Kiwischalen auf dem Tisch hatten ihren grünen Pelz gegen einen grau-bläulichen getauscht, in dem Fliegen weideten.
Der ganze Raum roch säuerlich nach gärendem Fruchtfleisch.
Otto war auch im angrenzenden Raum, der ihm wohl als Schlafkammer diente, nicht zu finden. Hier stapelten sich Einmachgläser in einfachen Holzregalen. Eine Holzpritsche mit Säcken sah wie ein Bett aus. Auf dem Boden ersetzten hingeworfene Kleider den Teppich.
Ich eilte über den Hof zum Schuppen und bat den Taxifahrer im Vorbeilaufen zu warten. Der murmelte etwas wie »Ist Ihr Geld« und trat eine Zigarette aus.
Die Tür ließ sich nicht öffnen. Da sie nicht im Schloss war, musste sie von innen blockiert sein.
Eine Sekunde überlegte ich, ob es noch einen anderen Zugang geben konnte, entschloss mich aber zum Einsatz meiner zweihundert Pfund Lebendgewicht.
Die Tür löste sich krachend in einer Staubwolke auf, und meine Masse stürzte fast ungebremst über die Blockade, die einen schrillen Schrei ausstieß, den ich nur von Schweinen kannte, die sich kurz vor ihrer Schlachtung wussten.
Otto lag gekrümmt unter den Türresten und bewegte sich nicht.
Ein Huhn stieg über ihn hinweg ins Freie. Seine Hände waren kalt.
Unter seinen Bartstoppeln versuchte ich die Halsschlagader zu ertasten. Sie arbeitete schwach und unregelmäßig. Sein Atem kam stockend und flach.
Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis der Rettungswagen kam. Der Taxifahrer hatte sich trotz aller Drohungen geweigert, »diesen Misthaufen«, wie er Otto genannt hatte, in die Klinik zu fahren.
Immerhin hatte er den Notarzt über Funk informiert und war dann ohne Bezahlung vom Hof gerast.
»Oh, verdammt!«, entfuhr es dem Arzt, als sie Otto auf die Trage packten.
»Der erstickt ja am eigenen Dreck«, knurrte der Sanitäter und wischte sich die Hände an seiner weißen Hose ab, nachdem das Gestell mit dem zusammengeklappten Otto im Wagen verschwunden war.
»Sind Sie ein Angehöriger?«, fragte der Arzt, zwischen Anweisungen an den Assistenten, Aufziehen einer Injektion und dem Überstülpen einer Sauerstoffmaske auf Ottos Gesicht.
Ich verneinte. »Dann können Sie hier nicht mitfahren. Tut mir leid.«
»Ich kenne den Herrn. Er kann vorne mitfahren.«
Ich hatte nicht bemerkt, dass noch jemand im Führerhaus gewesen war. Der junge Mann, der mir schon einmal mit Otto geholfen hatte.
»Kommen Sie«, forderte er mich auf, »der Platz wird bis zur Notaufnahme nicht gebraucht. Die beiden haben alle Hände voll zu tun, damit der durchhält.«
Obwohl es eine rasante Fahrt wurde, die nur sieben Minuten bis zur Uniklinik dauerte, hatte ich den Eindruck, dass für die beiden Männer hinter uns jede Sekunde zu lang wurde, um Otto am Atmen zu halten.
Nachdem Otto und der Arzt durch die Eingangsschleuse verschwunden waren und der Sanitäter sich daranmachte, den Innenraum des Wagens mit Desinfektionsmittel für den nächsten Einsatz zu präparieren, nahm mich der Junge am Arm.
»Wir brauchen ein Aufnahmeprotokoll. Schildern Sie der Schwester alles, was Sie wissen.«
Sein Pieper fiepte am Gürtel. »Tut mir leid. Neuer Einsatz.«
Er beschrieb mir kurz den Weg und eilte im Laufschritt davon.
»Otto. Otto wer? Haben Sie denn keinen Familiennamen?«, rollte die Schwester die Augen. »Wie sollen wir den denn ohne Namen in dieser Maschine wiederfinden. Wer übernimmt die Kosten, wenn wir noch nicht einmal eine Anschrift wissen? So geht das nicht.«
Verzweifelt wedelte sie mir mit dem Formular vor dem Gesicht herum,
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