Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
auf dem bisher nur Tag und Uhrzeit der Einlieferung, und unter Vornamen »Otto« stand.
»Was gibt’s denn, Kindchen?« Eine Schwester, die mein Gewicht noch um einige Pfunde schlug, mit einer Stimmlage, die an Befehle über lange Distanzen gewöhnt war, nahm das Blatt.
»Otto, na ja, ist nicht viel. Vielleicht können Sie mir den Patienten mal beschreiben. Wenn er schon einmal hier war, dann kenne ich ihn. Schwester Ursula vergisst nichts. Stimmt’s?« Sie knuffte die Jüngere in die Seite und tauchte in ihrem ausladenden Dekolleté nach einem Kugelschreiber.
»Ach den!«, tönte sie bereits nach einer Kurzbeschreibung von Otto und verschwand in einem Nebenraum.
»Hier haben wir ihn«, kam sie mit einem Krankenblatt wedelnd zurück. »Otto-Alexander Este. Geboren 1930 in Mailand. Anschrift ... haben wir auch. Letzte Behandlung ... hm, ist schon über ein Jahr her. Beruf ... keiner.«
Sie übergab das Blatt ihrer Kollegin. »Ist gut. Sie können gehen.«
»Este?«, wiederholte ich laut. »Wo ist der denn gemeldet?«
Die Schwester drückte ihren Busen an den Tresen, »Wenn es Ihnen der Patient nicht gesagt hat, dann tue ich es auch nicht. Verstehen Sie? Datenschutz.«
»Schwester Ursula«, ich versuchte wieder meinen Honigton, »ich habe ihn gefunden. Wie soll ich mich nach seinem Befinden erkundigen, wenn ich nicht weiß, wo er wohnt?«
»Warten Sie, bis er wieder auf den Beinen ist. Dann können Sie ihn ja hier fragen. Sie brauchen an der Pforte nur nach seinem Namen zu fragen. Die sagen Ihnen dann schon, wo er liegt.«
Dieses Panzernashorn von Frau war offenbar immun gegen männlichen Charme. Vielleicht merkte sie aber auch, dass es mir schwer fiel, meine Reize für sie auf Cinemascope-Format auszuweiten.
»Sagen Sie, Schwester Ursula«, versuchte ich eine andere Variante, »wen benachrichtigen Sie, wenn der Patient stirbt und die Adresse nicht mehr stimmt?«
»Junger Mann«, schnaubte sie, »Sie gehen mir auf die Nerven. Ich habe noch was anderes zu tun. Diese Adresse stimmt noch, oder glauben Sie, dass die Jesuitenkirche in Wien so mal eben den Wohnsitz wechselt?«
Sie ließ mich stehen. Zum Glück, denn ich spürte, wie meine Gesichtszüge entgleisten.
Otto Este, Jesuitenkirche, Wien, tobte es in mir.
Wenn dies das Geheimnis war, das der Professor gemeint hatte, dann hatte nicht nur ich ein ernstes Problem. Es blieb nun zu klären, ob Otto tatsächlich der Adelsfamilie d’Este entstammte oder es sich nur um eine zufällige Namensgleichheit handelte. Wenn es kein Zufall war, zu welchem Zweig gehörte er? Dem der Habsburg-Este oder dem der Toscana-Este, der ehemaligen Besitzer des Münsterplatzes?
In meinem Kopf jagte eine Möglichkeit die andere. Warum fiel mir der Graf von Monte Christo ein?
Ein Krüppel, der freiwillig Jahrzehnte als Bettler auf seinem ehemaligen Grund und Boden den Müll zum Überleben eingesammelt hatte, holte sich seine Rechte zurück.
Die Idee war als Story verlockend. Nur taugte sie nichts, solange sie nur auf meinen Vermutungen aufgebaut war. Wie wollte ein Mann, der seine Lebenszeit nur noch in Kiwi bemaß, das anstellen?
Der Zettel »Bin Einkaufen« hielt sich noch an einer Ecke und wurde nur von einem neuen vor dem Absturz aufgehalten. »Bin zu Lisa. Nicht warten. Pater Lutz anrufen.«
Auf dem Küchentisch lag ein Päckchen vom Verlag. Es war mein Handy. Ich hatte diesen Zeitdieb absichtlich nicht mit in den Urlaub genommen. Aber es schien mir jetzt angebracht, über eine ungebundene Kommunikation zu verfügen.
Pater Lutz war kurz angebunden.
»Haben Sie den Schlüssel noch? Hüten Sie ihn wie einen Schatz, und besuchen Sie Otto. Er braucht Schutz, bis ich wieder da bin.«
Meine massive Bitte um Erklärung beantwortete er mit einem knappen »Ich bin sein Bruder. Alles Weitere, wenn ich zurück bin.« Dann brach die Verbindung ab.
»Jesuitenkirche, Jesuitenpater Lutz, Bruder Otto, Este«, murmelte ich gebetsmühlenartig vor mich hin.
Eine bis dahin von mir völlig unbedachte Konstellation betrat die Bühne und griff massiv ins Spiel ein. War Pater Lutz der Choreograf? Der Doktorand von 1848 war auch Jesuit gewesen.
Gerda war die Nacht nicht nach Hause gekommen, und ich hatte trotz einer halben Flasche Cognac, die ich auf die Leistung des Professors getrunken hatte, schlecht geschlafen.
Einige Blatt Papier hatten daran glauben müssen. Trotzdem hatten mich meine Zeichnungen der Zusammenhänge nur so weit gebracht, dass die möglichen Figuren, die an
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