Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
war der Typ Frau, der es verstand, meine stille Abwehrhaltung gegenüber dem weiblichen Geschlecht ohne Wenn und Aber zu überrollen. Was ich in meinem Beruf praktizierte, lebte sie mir im zwischenmenschlichen Bereich vor. Berührungsängste und schlechtes Gewissen waren ihr unbekannt.
Wenn das mal gut geht , seufzte der Kobold.
Gerda war nicht da. »Bin einkaufen«, verkündete ein Zettel am Garderobenspiegel. Mir war es recht. So war ich erst einmal nicht gezwungen, so zu tun, als sei nichts geschehen.
Zuerst rief ich meine Redaktion an und gab einen Lagebericht. Es sollte mir nicht noch einmal passieren, dass mich jemand mit meinem Arbeitgeber ausspielte. Dann suchte ich im Internet nach der Adresse, die zu der Telefonnummer gehörte, welche mir Pater Lutz in die Hand geschmuggelt hatte.
Es war eine Nummer des Katholischen Pfarramtes in Karlsruhe.
Was wollte er in Karlsruhe? Die Stadt war mir nicht als Mittelpunkt irgendeiner religiösen Institution im Gedächtnis, noch konnte ich mich an einen erwähnenswerten Sakralbau erinnern. Eine Stadt, deren Reiz sich in der Architektur des Stadtkerns erschöpfte. Sonst fiel mir nur Verwaltung ein.
» ... fast von der Kirche kurz nach dem ersten Weltkrieg enteignet.«
Enteignet.
Enteignen konnte man nur jemand, wenn sich die Gesetzeslage im Sinne des Stärkeren geändert hatte.
Wann war das? Und warum? Wo wurden Gesetze gemacht?
1919 wurde ich in der Geschichte des Landes fündig.
Im November 1918 musste Großherzog Friedrich II. in Folge des verlorenen Krieges abdanken. Kaum vier Monate später trat die neue Verfassung des Freistaats Baden in Kraft. Dass Karlsruhe zu der Zeit Landeshauptstadt und somit Regierungssitz war, ließ mich ahnen, warum der Pater sich dorthin verzogen hatte. Er suchte etwas. Nur schien er, im Gegensatz zu mir, zu wissen wo und wonach.
Die Unruhe des Jagdhundes vor der Eröffnung der Jagd erfasste mich. Die Zeit schien mit großen Schritten dem »Knall«, wie er es genannt hatte, zuzustreben.
Samstag. Das waren noch vier Tage. So lange konnte ich nicht mehr warten.
Es dauerte nur eine Minute, um Frau Hofmann zu überzeugen, dass wir morgen den Keller zu entrümpeln hatten.
»Macht nichts. Dann bereite ich eben ein Abendessen vor«, war ihre pragmatische Antwort ohne Wenn und Aber.
Feigling , tönte mein Kobold, als ich mich kurzfristig entschloss, Frau Gerster und Otto einen Besuch abzustatten. Du schaffst es nicht, deinem schlechten Gewissen aus dem Weg zu gehen .
Ich konnte nicht unterscheiden, ob Frau Gersters Tränen von den Zwiebeln kamen, die sie vehement schnitt, oder dem Unfall ihres Mannes.
»Ach Sie sind es! Haben Sie schon was gegessen? Es gibt Sauerbraten in Burgunder.«
»Wie geht es Ihrem Mann?«
Sie legte das Messer beiseite und seufzte. »Ein paar Knochenbrüche und innere Verletzungen. Die haben ihn ins Koma geschickt. Wissen wohl noch nicht, was sie mit ihm anfangen sollen.«
Sie dünstete die Zwiebeln und schmeckte die Sauce des Bratens ab.
»Wo ist Ihr Mann denn verunglückt?«
»In dem Waldstück unterhalb der Hütte. Möchte bloß wissen, was er da gesucht hat.«
»Haben Sie ein Ahnung, wie er gefunden wurde? Das ist doch sehr ...«
Ich verkniff es mir gerade noch, auf mein Wissen um die Örtlichkeit hinzuweisen.
»Irgendwer hat über Handy die Polizei informiert.«
Den Weg konnte ich kaum als ständig frequentiert bezeichnen. Wer dort einen Unfall hatte, würde schlechten Karten haben, um nachts gefunden zu werden.
»Sie wissen nicht, wer der Anrufer war?«
»Probieren Sie mal«, hielt sie mir einen Löffel mit Sauce hin. »Nein, weiß ich nicht. Aber ich habe die Polizei gebeten, den Wagen zu untersuchen. Mit einem Promille war mein Mann noch nicht fahruntüchtig. Die hatte er schon nach dem Frühstück. Er bildet sich ein, seinen Blutzucker mit dem Kartoffelschnaps in den Griff zu bekommen, den er gleich nach dem Aufstehen trinkt.«
»Gibt es einen Schlüssel zur Hütte?« Irgendwie musste ich an die Unterlagen im Keller kommen, die ein Beweismittel gegen Simonte darstellen konnten.
Frau Gerster hielt beim Salatputzen inne. »Was wollen Sie denn da? Wissen Sie überhaupt, wo die ist?«
»Ihr Mann hat mir auf der Karte gezeigt, wo sie ist. Ich wollte von dort ein paar Tage wandern. Außerdem glaube ich auch nicht, dass es bei dem Unfall mit rechten Dingen zugeht. Vielleicht finde ich dort etwas.«
Für ein paar Sekunden fixierte sie mich prüfend, packte die Salatblätter in ein
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