Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
das »Du« geeinigt hatten.
Die Pastete und eine Fischsuppe, wie ich sie noch nie gegessen hatte, vermittelten mir endlich das Gefühl, ein paar Stunden Urlaub zu haben.
Meine Gedanken kreisten in einer Wolke aus mediterraner Koch-und Liebeskunst.
Unwillkürlich zwang sich mir der Vergleich zwischen Gerda und Margot auf. Abgesehen davon, dass beide dreizehn Jahre Lebenserfahrung trennten, vermittelte Margot nicht das Gefühl, irgendwelche Besitzansprüche an einem Mann geltend zu machen. Was sie tat oder sagte, geschah mit der Leichtigkeit und dem Selbstverständnis einer Zirkusartistin in der Manege. Probleme schienen für sie ein Fremdwort zu sein. Widerstände vermied sie, indem sie selbst keine aufbaute.
Pünktlich zum Mokka erschien die Seniorin mit einer Mappe, die mit zwei roten Bändern zusammengehalten wurde.
»Hier sind die Beweise für das, was ich gesagt habe. Lesen Sie, und machen Sie sich von mir aus Notizen. Aber mitnehmen dürfen Sie nichts.«
Sie räumte das Geschirr ab und stapelte es im Spülbecken. »Haben Sie schon mal einen Koch gesehen, der seinen Arbeitsplatz aufräumt?«, fragte sie mehr in den Raum als mich. »Meine Tochter macht da keine Ausnahme.«
Margot rückte ihren Stuhl zu mir und grinste.
Dem Papier sah und roch man an, dass es eine Weile im Keller gelegen hatte. Ich blätterte vorsichtig, um das teilweise schon brüchige Papier nicht zu beschädigen.
Von der Klage bis zum Urteil wurden die Aussagen der alten Dame bestätigt. Das Urteil selbst beinhaltete aber nur, dass das Verfahren gegen Zahlung von 1000 Goldmark eingestellt wurde. Die Begründung, warum und wieso und auf welcher Rechtsbasis, fehlte.
Genau die war es aber, die ich zu finden gehofft hatte. Nur sie konnte Aufschluss darüber geben, warum nur die Hofmanns im Besitz der von den Este gekauften Liegenschaft geblieben waren, die anderen Grundstücke aber vor der neuen Landesordnung wieder an die Kirche gefallen waren.
Da der Professor die Mappe schon in den Händen gehabt hatte, war es sinnlos, die alte Dame nach dem Verbleib der fehlenden Begründung zu fragen.
Der alte Fuchs nötigte mir immer mehr Respekt ab. Wie es schien, hatte ihn nur noch der Tod an der Lösung des Mysteriums gehindert.
Die Frage war mal wieder, wer das Papier jetzt hatte?
»Können Sie damit etwas anfangen?«
Sie hatte mich beim Geschirrspülen nicht aus den Augen gelassen.
»Ja, das hilft mir«, bestätigte ich wahrheitsgemäß.
»Wir sollten noch etwas an die Luft«, schlug Margot vor, und als wir vor dem Haus waren, »stimmt was nicht mit der Akte?«
»Nein. Für euch ist das in Ordnung.«
Sie hakte sich wieder unter. »Komm, ich zeige dir meinen Lieblingsplatz.«
Nachdem wir das Wohngebiet verlassen hatten, führte der Weg steil bergauf in den Wald. Nach ein paar hundert Metern erreichten wir eine Bank, die von zwei Eichenbäumen beschirmt wurde. Unter uns lag die Stadt in der untergehenden Sonne.
»Sie kann so schön sein«, sinnierte Margot, »aber auch so hässlich, wenn man hinter ihre Fassaden sieht.«
»Was hast du damit zu tun? Euer Geschäft gehört doch zu den privilegierten.«
Sie setzte sich auf die Bank und brach einen Zweig von einem herumliegenden Ast.
»Glaubst du das? Wenn hier schon jeder jeden anonym anzeigt, Einrichtungen zerstört werden, Menschen sterben, die sich für das Dahinter interessieren, dann ist es doch nur noch eine Frage der Zeit, wann sich der sogenannte Volkszorn gegen die Privilegierten richtet.Das war schon immer so, bevor eine Revolution ausbrach ... ich hätte an die verkaufen sollen.«
»›Die‹?« Dieser belanglos hingesprochene Artikel elektrisierte mich.
»Ja, eine amerikanische Süßwarenkette ist vor ein paar Monaten an mich herangetreten. Sie suchten ein Gebäude in bester Touristenlage, um so etwas wie eine Donut-oder Banana-Flip-Oase draus zu machen. Die Idee war nicht schlecht. Aber auf eine Pacht ließen sie sich nicht ein. Verkaufen oder nichts.«
Sie zog mit dem Stock Ornamente in den Boden.
»Ich habe es mir lange überlegt, aber Mutter hätte dem Verkauf nie zugestimmt.«
»Könnte diese ominöse Investorengruppe dahinterstecken?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein. Die gehen anders vor. Die wollten nur unser Haus, weil Enrico es ihnen empfohlen hatte.«
»Woher kennst du Enrico?«
Sie stand auf und wischte die Ornamente mit dem Fuß weg.
»Sag mir lieber, woher du ihn kennst? Er war mal Pächter des MünsterCafés. Warum soll ich ihn dann
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