Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
Kinder, kicherte mein Kobold.
Die alte Dame hatte die Pastete aus dem Ofen genommen und musterte uns, als wir die Küche betraten.
»Das Zeug muss noch abkühlen. Die Bouillabaisse braucht auch noch«, murmelte sie mehr für sich und hantierte lautstark in einem Schrank mit Geschirr. »Was steht ihr da noch rum. Setzt euch gefälligst.«
Margot bedeutete mir, neben ihr an der Längsseite des Küchentisches Platz zu nehmen.
Die alte Dame stütze sich auf die Stuhllehne an der Kopfseite und fixierte uns wie eine Wahrsagerin, die unbedachte Regungen ihrer Kunden zu provozieren versuchte, um daraus die unausweichliche Zukunft abzuleiten.
»Können Sie wilde Tiere zähmen?«, richtete sie die Frage an mich.
Vorsicht , tönte es in mir.
»Wenn es sich lohnt«, versuchte ich die Frage zu umschiffen.
»Lohnt! Wenn es sich lohnt«, tönte sie abfällig und rührte die Fischsuppe um. »Sie sind seit Jahren der erste Mann, den meine Tochter hier einlädt. Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht als Enkel. Aber sie wollte immer so sein wie ihr Vater. Was ist daraus geworden? Eine alte Kuh, die jeden Mann das Fürchten gelehrt hat. Und nun ...?«
Sie ließ sich schwer auf den Stuhl fallen.
»Nun bleibt mir nur noch die Hoffnung, wenigstens einen Schwiegersohn zu bekommen, der ihr die Zügel anlegen kann ... sonst redet sie sich und unseren Besitz noch um Kopf und Kragen. Sie ist genauso ein undiplomatischer Dickkopf wie ihr Vater.«
Margot wollte etwas sagen. »Halt den Mund«,unterband ihre Mutter den Versuch. »Was ihr sucht, ist im Safe. Jetzt wollt ihr wohl noch wissen, warum ich weiß, was ihr sucht?«
Margot nickte, und ich brummte ein »Ja«.
»Wenn ich auch schon alt bin, bedeutet das nicht, dass ich blöd bin. Auch wenn ich nichts sage, bekomme ich alles mit. Ich sehe sehr genau, was sich da am Münster tut, und du Quasseltante redest zurzeit ja auch über nichts anderes. Hoffe nur, dass die Steuer nicht was bei uns findet. Aber auf den Wert dessen, was ihr sucht, hat mich mein alter Schulfreund Professor Solvay gebracht. Ich wusste bis vor ein paar Monaten noch nicht einmal, dass wir diese Papiere besitzen. Er hat sie dann im Keller ausgegraben.«
Margots Hand suchte unter dem Tisch mein Knie und kniff mich, was ich als »Mund halten« verstand.
»Schau mal bitte nach der Suppe, ob da noch was fehlt«, forderte sie Margot auf.
»Nun ja,es sind Dokumente«, fuhr sie, an mich gewandt, fort, »die belegen, dass die Vorfahren meines Mannes das Grundstück kurz nach 1800 rechtmäßig erworben haben. Dies ging so lange gut, bis sich der Staat 1919 die erste demokratische Verfassung gab. Seit etwa 1888 waren wir die Letzten, die noch Privatbesitz am Münster hatten. Die anderen Liegenschaften hatte sich die Kirche, auf welchem Weg auch immer, langsam unter den Nagel gerissen. Auf der Grundlage der neuen Verfassung von 1919, mit der auch das Rechtssystem liberalisiert wurde, unternahm die Kirche 1922 einen Vorstoß, auch an unser Eigentum zu kommen. Sie bezog sich dabei auf das badische Konkordat mit der römischen Kurie von 1859, das allerdings ein Jahr später durch ein neues Gesetz einseitig vom Land wieder aufgehoben worden war. Das erste Konkordat hatte der Kirche ihre alten Liegenschaften von vor 1800 teilweise wieder zuerkannt, das aber mit einem Zusatzgesetz widerrufen. Das Verfahren zog sich bis 1932 hin und endete mit einem Vergleich. Mein Schwiegervater zahlte eine Summe von 1000 Goldmark an die Kirche. Seitdem haben wir Ruhe.«
Margot begann den Tisch zu decken. »Reicht dir ... äh, Ihnen das für den Artikel?«, fragte sie zwischen Messer und Gabel.
Ich rief mir den bisher bekannten Verlauf auf und reihte das eben Gehörte ein. Demnach hatten die Este die 1882 wiedererhaltenen Liegenschaften bis 1888 bereits wieder abgegeben oder abgeben müssen.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das reicht nicht. Ich sollte die Unterlagen einsehen. Was ich recherchiere, muss hieb- und stichfest sein.«
Die Seniorin blickte einen Moment ins Leere, als befrage sie dort jemand, und nickte. »Gut. Das sollen Sie, nach dem Essen.«
Mit einer gemurmelten Entschuldigung zog sie sich zurück.
»Isst sie nicht mit?«
»Nein.« Margot entfaltete ihr betont ernsthaftes Gesicht wieder zu einem Lächeln. »Sie hat ihre festen Zeiten. Sieben Uhr Frühstück, zwölf Uhr Mittag. Aber ich sollte etwas Geziemlicheres anziehen. Komm, mach dich auch frisch.«
Es dauerte eine heiße gemeinsame Dusche lang, bis wir uns auf
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