Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
gerechnet zu haben, denn ich verspürte nicht das geringste Erstaunen über diese Mitteilung. Nur ein Gefühl wie ein Nebel, der sich über mich gelegt hatte.
»Woran ist sie gestorben, und wo ist ihre Tochter?«
Er schaute von seiner Akte hoch. »Tochter? Verdammt, an die hat niemand gedacht ... Woran gestorben ... ? Das muss die Obduktion ergeben.«
22
Margot wartete mit einem doppelten Cognac. »War’s schlimm?«
»Gerda Solvay ist tot.« Mehr sagte ich nicht.
»Willst du gleich nach Hause, äh, ich meine zu uns, dann nimm Mutters Wagen, oder hast du noch etwas Zeit? Die Gäste haben heute ein besonderes Sitzfleisch. Es kann noch zwei Stunden dauern, bis hier eine von uns weg kann.«
Mir war nach Bewegung und einem frischen Bier. Das süße Omelette lag mir wie ein Backstein im Magen, und die Neuigkeiten der letzten Stunden trugen auch nicht zu einer besseren Verdauung bei.
Wie benommen schlenderte ich durch die Stadt. Dass Gerda tot war, nahm ich nur sehr langsam wahr. Dieser Kommissar hatte ihr Ableben behandelt, wie wenn die Stadtreinigung eine überfahrene Katze von der Fahrbahn kratzte. Der Erzbischof hatte mir auch nicht viel Neues erzählt, außer dass Simonte seine Familie verloren hatte und angeblich nichts für die Kurie verwaltete. Pater Lutz hatte seinen Bruder in Sicherheit gebracht. Das war so ziemlich alles, was ich nachvollziehen konnte. Die Jagd nach irgendwelchen Dokumenten verlor zunehmend ihren Sinn. Wenn das so weiterging, wusste übermorgen niemand mehr, was überhaupt der Anlass für dieses Chaos gewesen war. Und wo war Lisa jetzt?
Die Polizei schien das nicht zu interessieren. Oder war Lisa ...? Ich schüttelte den Gedanken ab.
Der Nebel war nicht nur in meinem Kopf. Ich fühlte körperlich, wie er durch die Straßen der Stadt kroch und sich seinem Ziel näherte. Wo war das Ziel? Es hatte etwas mit der Kirche zu tun, da war ich mir absolut sicher.
Ohne bewusst einen Weg verfolgt zu haben, fand ich mich in der Altstadtkneipe wieder. Sie war zu dieser Tageszeit erst spärlich besucht. An der Theke saßen die, die wohl schon vor der Öffnung an die Tür klopften.
Von meinen lokalen Kollegen war niemand anwesend. Bevor ich die Tageszeit genannt oder einen Wunsch geäußert hatte, schob mir der Wirt einen Cognac und ein Bier hin. »Von dem Herrn da.«
Er deutete in den kleinen Nebenraum, der vom Eingang nicht einzusehen war.
Kommissar Eibel prostete mir zu.
»Ist das eine Art offene Beschattung?« Ich setzte mich ihm gegenüber.
»Nein. Bin nicht im Dienst. Aber ich habe etwas auf Ihrem Laptop gefunden, was mich privat interessiert.«
Er bestellte noch eine Runde.
»Woher wissen Sie, dass es mein Gerät ist?«
Er schaute mich wie ein Lehrer an, der plötzlich Zweifel am Verstand seines Lieblingsschülers bekam. »Das Ding ist auf Sie initialisiert, und in der Mailbox-Ablage sind Mitteilungen von Ihnen an Ihren Verlag. Sonst noch eine blöde Frage?«
»Also, was interessiert Sie?«, lenkte ich schnell von dieser Blamage ab.
»Wo ist dieses Originaldokument, das Sie in einer Mail erwähnen und auch in Form einer Übersetzung als Datei gespeichert haben?«
»Was hat das mit Gerda Solvays Tod zu tun?«
Er kratzte sich am Kinn und zog bedächtig einen Tabaksbeutel hervor. Aufreizend langsam stopfte er eine Pfeife. Der erste Zug nebelte uns in eine blassblaue, nach Vanille riechende Wolke ein, die er mit einer wedelnden Handbewegung zu verteilen suchte.
»Die Todesart von Frau Solvay ist identisch mit der des Sparkassendirektors Müller. Wie es aussieht, hat sie sich mit den Abgasen ihres Autos vergiftet.«
Er stopfte die aufsteigende Glut im Pfeifenkopf mit dem Finger zurück.
»Bei Müller hatten wir schon Zweifel, dass er freiwillig aus dem Leben geschieden war. Aber bei Frau Solvay fanden wir das gleiche Medikament im Blut, eine Art Valium in hoher Dosierung. Bei dem Direktor mussten wir davon ausgehen, dass er es genommen hatte, um sich bei dem ganzen Schlamassel zu betäuben. Er hatte eine ganze Apotheke von hochdosierten Präparaten im Schrank. Bei Frau Solvay fanden wir außer Aspirin nichts.«
»Verstehe«, murmelte ich. »Aber was hat das mit dem Dokument in der Datei zu tun?«
Er zündete sich die Pfeife wieder an und nebelte uns ein.
»Das wüsste ich gerne von Ihnen. Uns ist nicht unbekannt, was der Professor alles prophezeit hat. Jeder hat es für eine seiner Spinnereien gehalten. Nun sollten wir die Sache langsam ernst nehmen. Der Münsterplatz ist seit
Weitere Kostenlose Bücher