Im Schatten des Münsters - Buthe, H: Im Schatten des Münsters
bekommen, sonst ist er für die wirklichen Besitzer im Hintergrund untragbar.«
23
Margot war am Morgen früher ins Café gefahren als sonst. Es sah so aus, als wollte sie der Mutter aus dem Weg gehen.
Die saß mir beim Frühstück gegenüber und löste Aspirin in einem Glas warmem Wasser mit Honig auf.
»Habe ich sehr viel dummes Zeug geredet?«, murmelte sie, ohne mich anzusehen.
Ich überlegte, was ich darauf antworten konnte. Als Gast stand mir Kritik nicht zu, und außerdem hatten mir ihre unbedachten Äußerungen wieder einen Ansatz zu meiner Story gegeben.
»Es war Ihre Entscheidung«, murmelte ich genauso ohne Blickkontakt.
»Margot ist jetzt bestimmt sauer. Aber seit dem Tod meines Mannes hasse ich dieses Café. Ich hasse diese dummen Gesichter dieses immer dekadenter werdenden Publikums. Das Personal wird immer renitenter, die Vorschriften immer unerfüllbarer. Ich habe nur durchgehalten, weil ich gehofft hatte, dass mal ...« Sie winkte ab. »Das habe ich ja schon erzählt. Da hat dieses dumme Gör die einmalige Chance, das Ding zu verkaufen, und lehnt ab. Was sollte ich da machen, als das Angebot der Sparkasse anzunehmen und nach dem Tod des Direktors meine eigene Strategie zu verfolgen?«
»Kann es sein«, fragte ich betont ruhig, »dass Sie und Margot ein Kommunikationsproblem haben?«
Sie trank den Aspirin-Honig und schüttelte sich. »Das einzige Problem ist, dass meine Tochter einfach keine Frau werden will.«
»Nun ja«, war alles, was ich dazu sagen wollte, und ich empfahl mich.
»Nehmen Sie meinen Wagen. Ich habe heute keine Lust auf dumme Gesichter«, rief sie mir nach.
Auf der Fahrt zur Kripo dämmerte mir, warum Margot keine »Frau« im Sinne der Mutter werden wollte. Die Seniorin hätte einen Enkel wahrscheinlich in einen Schokoladenguss gesteckt und ihm verboten, erwachsen zu werden.
Kommissar Eibel empfing mich eine Spur freundlicher als gestern.
Er hielt mir die ausgedruckte Übersetzung der Doktorarbeit hin. »Können Sie mir bitte erklären, was an diesem Papier so wichtig ist? Ich verstehe nur Bahnhof. Deswegen sterben doch normalerweise keine Leute. Und diese Lisa ist auch nicht mehr bei der Schwester von Frau Solvay. Sie hat Vermisstenanzeige erstattet. Das Kind ist vorgestern gegen zehn Uhr nicht mehr vom Einkaufen zurückgekommen. Was mich wundert, ist, dass Frau Solvay nur einmal bei ihrer Schwester war, um Lisa abzuliefern. Sie sagten doch, dass da ein Zettel hing, dass sie wieder zur Schwester gefahren sei. Gefunden wurde sie aber fast fünfzig Kilometer entfernt vom Wohnort der Schwester, in entgegengesetzter Richtung.«
Lisa entführt? Diese Vorstellung schoss mir wie ein Stromschlag durch den Körper. Beim Frühstück mit Frau Hofmann war in mir die total verquere Vorstellung entstanden, zusammen mit Margot Lisa zu adoptieren. Langsam war ich dabei, dem Gedanken einer festen Verbindung näher zu treten. Margot und Lisa würden vom Wesen gut zusammenpassen. Die Seniorin hätte eine Enkelin, die schon zu alt für Schokoladenguss war, und mir konnte ein geregeltes Familienleben mit einer Frau, die nicht ständig meine Fluchtdistanz unterschritt, auch nicht schaden.
»Was meinen Sie?«, rüttelte mich Eibel aus meinen Gedanken.
»Sie müssen Lisa finden. Ich schlage vor, damit bei Dr. Simonte anzufangen. Der dürfte heute auch das Originaldokument in der Post haben.«
»Das haben Sie mir gestern aber nicht gesagt«, polterte er und griff zum Telefon. »Den Staatsanwalt, bitte«, er legte die Hand auf das Mikrofon, »und wenn Ihnen noch ein paar Sachen einfallen, die Sie so rein zufällig vergessen haben, weil Sie glauben, dass die besser in Ihre Story passen als in meine Ermittlungen, dann sagen Sie mir das bitte, bevor wir auch noch das Mädchen tot auffinden.«
Ich hörte noch, wie er eine Durchsuchungsgenehmigung für Dr. Simonte beantragte, als mein Handy summte.
»Sind Sie in der Stadt und haben Sie Zeit?«, fragte Pater Lutz.
»Ja.«
»Dann kommen Sie schnell nach St. Blasien. Fragen Sie im Jesuitenkolleg nach mir.«
Das sogenannte Kolleg musste in früheren Zeiten ein Kloster gewesen sein, das sich jetzt als Gymnasium auswies. Das Dorf wurde von einem alles überragenden Kirchenbau beherrscht, dessen Konstruktion äußerlich dem Petersdom nachempfunden war. Die riesige Kuppel passte irgendwie nicht in die Landschaft und wirkte wie eine Gedenkstätte vergangener Macht.
Pater Lutz war schnell gefunden. Er wirkte ernst, fast distanziert.
»Sind Sie mit
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