Im Schatten des Palazzo Farnese
Bibliothek um die Archivabteilung?«
»Eigentlich ist das Marterelli. In Wirklichkeit ist er unaufhörlich auf Dienstreisen, und Maria Verdi vertritt ihn mit Hilfe von Skriptor Prizzi. Sie ist seit mindestens dreißig Jahren hier, aber das zählt schon keiner mehr, vielleicht sind es auch schon zweihundertfünfzig Jahre.«
»Macht sie ihre Arbeit gut?«
»Sie ist unbeweglich und fromm«, erklärte Lorenzo Vitelli seufzend. »Nie findet man irgend etwas, das man ihr vorwerfen könnte.«
»Langweilig?«
»Sehr.«
»Sie scheinen an etwas zu denken.«
»Möglich.«
»Woran?«
Der Bischof verzog das Gesicht. Die neue Rolle als Spitzel, in die ihn die Ermittlungen versetzten, wurde ihm allmählich lästig.
»Wenn Sie Claudius Valhubert helfen möchten …«, begann Valence.
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn Vitelli ungeduldig. »Aber das ist nicht immer einfach, stellen Sie sich vor.«
Valence schwieg und wartete ab.
»Gut«, fuhr der Bischof dann rasch fort. »Ich werde Ihnen sagen, woran ich denke. Damit wir uns recht verstehen: Ich gebe Ihnen die Information, die ich der Polizei gegenüber heute morgen verschwiegen habe, weil Sie nicht offiziell hier sind. Wenn Sie etwas Interessantes daraus schließen sollten, liegt es allein bei Ihnen, ob Sie Ruggieri darüber informieren oder nicht. Im gegenteiligen Fall vergessen Sie es, und ich werde meinerseits versuchen, Entschuldigungen für meinen Argwohn zu finden. Verstehen Sie mich? Können wir uns beide für die Dauer dieses Falles dergestalt arrangieren?«
»Mir sehr recht«, sagte Valence.
»Gut. Bevor mich Henri gegen Mittag verließ, fragte er mich, ob er telefonieren könne. Er tat es in meinem Beisein und mit einer Ungeduld, die ich gut an ihm kenne. Er rief einen unserer ältesten gemeinsamen Freunde an, der in Rom dieselben Geschäfte betreibt wie Henri in Paris: Kunsteditionen.«
»Sein Name?«
»Pietro Baldi. In jüngeren Jahren war er sehr charmant, aber das Geld hat ihn verändert. Seine Intelligenz ist … durchschnittlich, das ist ihm bewußt, und er versucht das durch mehr oder weniger sympathische Mittel zu kompensieren. Pietro ist mit der Bibliothek seit langem vertraut, er geht hier seit zwanzig Jahren ein und aus.«
Lorenzo Vitelli redete immer leiser. Wahrscheinlich die Scham, dachte Valence.
»Da ist noch etwas«, bemerkte Valence.
»Stimmt«, erwiderte der Bischof seufzend. »Durch Henris Besuch beunruhigt, habe ich mir danach sehr ausführlich die jüngsten Werke vorgenommen, die Pietro Baldi herausgegeben hat, Seite für Seite.«
Vitelli stand auf, zog ein Buch aus dem Regal, blätterte es durch und legte es offen vor Valence hin.
»Sehen Sie selbst«, sagte er.
»Was soll ich sehen?«
»Diese kleine Skizze von Bernini, hier links. ›Privatsammlung. Anonym.‹ Ich meine diesen Bernini zu kennen. Ich glaube sogar, ich habe ihn hier in der Vaticana gesehen, als ich vor fünfzehn Jahren meinen Band über das Barock vorbereitet habe. Aber ich bin mir nicht sicher, überhaupt nicht sicher, verstehen Sie.«
»Was für ein Interesse sollte er haben, ein gestohlenes Dokument zu veröffentlichen?«
»Nun, das ist so bei dem Geschäft mit der Kunst, da gibt es viel Konkurrenz. Durch seine Entdeckungen von Werken, die noch nie veröffentlicht wurden, und seine originelle Darstellung hat sich Baldi einen Namen gemacht. Das bringt ihm Geld ein. Verstehen Sie? Das Ganze ist sehr unangenehm. Mir ist bei dieser Untersuchung überhaupt nicht wohl.«
»Aber da gibt es die drei ›Kaiser‹ – und die würden Sie gern schützen.«
Der Bischof lächelte.
»In der Tat gibt es diese drei, aber es gibt auch die Vaticana. Für alle, die wirklich mit der ehrwürdigen Bibliothek gearbeitet haben, ist die Vorstellung, ihr geheimer Leib könnte sich nach und nach leeren, unerträglich. Das ist, als würde man Ihnen selbst den Bauch aufschneiden. Die Vaticana ist eine Sucht. Fragen Sie Maria Verdi, und Sie werden sehen. Aber bleiben Sie nicht zu lange bei ihr, sonst sterben Sie vor Langeweile.«
12
Richard Valence lächelte noch, als er das Hotel erreichte. Seit der Ankunft am Vormittag hatte er keine Zeit gehabt, sein Zimmer zu beziehen. Vom Hotel aus rief er seinen Kollegen im Justizministerium an. Auf dem Bett liegend, wartete er müde darauf, Pauls gemessene Stimme zu hören, der verdammt erleichtert sein mußte, eine Auseinandersetzung mit Édouard Valhubert vermieden zu haben.
»Hier Valence. Hat sich der Minister
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