Im Schatten des Palazzo Farnese
sehen, Monsignore, haben Sie wohl auch die Identität des Mörders Ihres Freundes schon lange herausgefunden?«
Der Bischof runzelte zögernd die Stirn.
»Ich glaube. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es eines Tages sagen werde. Ich wollte heute morgen zu Ihnen, um Sie zu dem Thema zu befragen, aber Sie haben mich nicht einmal empfangen, so sehr waren Sie von Ihrer Geschichte in Anspruch genommen, davongetragen vom Hochwasser Ihres Flusses. Alles in allem war das ein Glück, denn ich hätte mich dazu hinreißen lassen, Dinge zu sagen, die ich heute abend sehr bedauern würde. Inzwischen schenke ich Ihnen mein Vertrauen nicht mehr und warte, ja, ich warte darauf, Sie fallen zu sehen. Das steigende Wasser, der Wasserfall. Der Sturz.«
»Ein merkwürdiger Satz aus dem Munde eines Bischofs.«
»Weil ich keine andere Lösung für Sie sehe. Stürzen und wieder aufleben.«
»Reden wir lieber von Laura Valhuberts Sturz. Was halten Sie von ihrem gefälschten Alibi?«
Der Bischof zuckte gleichgültig mit den Schultern.
»Jeder kann einmal das Bedürfnis verspüren zu lügen, um eine Nacht außer Haus zu verbringen«, sagte er. »Deswegen muß man in dieser Zeit noch keinen Mord begehen. Vielleicht besucht Laura einen Freund.«
»Einen Liebhaber«, verbesserte Gabriella. »Vielleicht besucht Mama einen Liebhaber.«
»Sehen Sie«, bemerkte Vitelli lächelnd, »die Kleine ist einverstanden.«
»Also werden auch Sie von Ihr verwirrt und in die Irre geführt«, bemerkte Valence. »Und das Geld? Woher beschafft sie sich das Geld für ihre Tochter? Können Sie sich wenigstens das denken?«
»Bei Ganoven«, erklärte Gabriella fast lachend.
Lorenzo Vitelli schien sich jetzt aufrichtig zu amüsieren. Valence preßte die Hände um sein Glas.
»Mama bringt mir jeden Monat Geld«, trällerte Gabriella.
»Der Lohn, den sie im Austausch für den Schmuggel gestohlener Ware vom Doryphorus erhält«, präzisierte Valence.
»Ganz genau«, sagte Gabriella. »Aber Mama stiehlt nicht. Sie transportiert nur Sachen, um ihre Tochter ernähren zu können. Bald hört das auf, ich habe eine Arbeit gefunden, eine gute Arbeit. Mit Henri gab es keine andere Lösung, er hat nie zugelassen, daß sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Das war ihm peinlich. Der Doryphorus ist ein prima Kerl. Er hat die ganzen Klempnerarbeiten hier gemacht.«
Vitelli lächelte noch immer.
»Und Sie, Monsignore, Sie finden das amüsant? Sie decken diesen Schwarzhandel, ohne ein Wort darüber zu verlieren?«
»Monsieur Valence, Laura hat mich nie damit betraut, über ihre Seele zu wachen – mit der glaubt sie ganz allein zurechtkommen zu können. Sie hat mir allein ihr Kind anvertraut.«
»Mama haßt es, wenn man in ihre Vorstellung von Moral eingreift«, kommentierte Gabriella.
»Laura Valhubert betreibt Schwarzhandel, sie lügt, sie zieht ihr Kind mit dem Geld der Unterwelt auf, aber ihr Freund, der Bischof, verschließt die Augen, und ihre dankbare Tochter lacht darüber! Und bei all dem bin ich der Schändliche, nicht wahr?«
»Ungefähr so ist es«, sagte Gabriella.
»Das Schicksal Ihrer Mutter beunruhigt Sie also nicht?«
»Doch. Es beunruhigt mich, seitdem Sie eine persönliche Angelegenheit daraus gemacht haben. Ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, daß Tiberius völlig verstört und halb verrückt von hier weggegangen ist. Aber Tiberius ist schnell verrückt, sobald es um Mama geht; dann wird er ganz kopflos. Ich nicht. Denn ich weiß, daß Sie nie die Oberhand über sie gewinnen werden. Sie wird sie beobachten, vielleicht wird sie lachen oder weinen, und wenn Sie dann auf sie losgegangen sind und sich den Kopf an einer Wand eingeschlagen haben, wird sie weitergehen.«
»Der besagte Sturz«, kommentierte Vitelli.
»Ihre Mutter hat ihren Mann beseitigt … Löst so was Grauenvolles gar nichts bei Ihnen aus?«
»Das Grauen«, bemerkte Gabriella, »ist eine vage Vorstellung. Man kann grauenvoll sein, indem man eine Fliege erschlägt, und großartig, indem man einen Menschen tötet. Lorenzo, ich habe genug.«
Valence gelang es, fast ruhig zu bleiben und sich zu sagen, daß er zumindest erreicht hatte, weswegen er hergekommen war: das Geständnis, daß Gabriella regelmäßige Zuwendungen erhielt und alle hier friedlich über deren unsaubere Herkunft Bescheid wußten. Und die Erkenntnis, daß alle sich darüber amüsierten, mit Ausnahme von Henri Valhubert, der darum gestorben war. Seufzend stellte er sein Glas ab. Er brauchte nur noch
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