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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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seinen Bericht zu vervollständigen. Und abzureisen.
    »Ihr Schützling ist eine Furie, Monsignore.«
    »Damit kennen Sie sich nicht aus«, meinte Vitelli.
    »Seit wann kennen sich Bischöfe mit Frauen aus?«
    »Eine sehr lange Geschichte. Aus grauer Vorzeit«, antwortete der Bischof.
    »Was hatten Sie mir heute morgen sagen wollen?«
    »Zu spät. Suchen Sie jetzt Ihren Mörder, und lassen Sie mich meinen suchen.«
    »Sie verschließen vor dem Offenkundigen die Augen?«
    »Na, und?«
    Lorenzo Vitelli schloß leise die Tür hinter Richard Valence und horchte, wie er die Treppe hinunterging.
    »War ich, wie ich sein sollte, Lorenzo?«
    »Perfekt, mein Liebling, du warst perfekt.«
    »Und ich bin furchtbar müde.«
    »Zynismus kommt nicht von allein, dazu braucht man eine gewisse Gewöhnung. Anfangs ermüdet einen das, das ist normal.«
    »Glaubst du, er hat sich aufgeregt?«
    »Ich glaube zumindest, daß er den Mut verloren hat, auch wenn er es noch nicht gemerkt hat. Das kommt noch. Ein aufrichtiger Gesprächspartner wie Tiberius ist pures Gold für Richard Valence, so etwas reizt ihn. Genau das muß man um jeden Preis vermeiden. Man muß ihn durch allgemeine Gleichgültigkeit frustrieren, seine Motivationenauf welche Weise auch immer in Frage stellen, bis er ins Gras beißt, ohne sich dessen bewußt zu sein. Ich sehe keine andere Möglichkeit für uns, ihn loszuwerden.«
    »Trotzdem habe ich Angst. Du glaubst doch nicht ein Wort von dem, was er da gesagt hat, nicht wahr?«
    »Ich glaube wirklich, daß Laura Henri nicht umgebracht hat.«
    »Denkst du an etwas anderes?«
    »Ja.«
    »Etwas, das dir kein Vergnügen bereitet?«
    »Auch das ist richtig.«
    »Was hast du vor?«
    »Abwarten.«
    »Ist das gefährlich?«
    »Vielleicht.«
    »Ich mag dich, Lorenzo. Sei bitte vorsichtig.«
    Gabriella blickte ins Leere, während sie eine Zigarette in den Händen drehte.
    »Denkst du an Richard Valence?« fragte Lorenzo. »Denkst du, daß er trotz allem etwas Unwiderstehliches hat, und fragst du dich, was das wohl sein könnte?«
    »Lorenzo, du bist genau die Art Pfarrer, die ich liebe. Kaum hat man angefangen nachzudenken, da ist alles bereits entziffert, formuliert und ordentlich auf dem Tisch ausgebreitet. Du ahnst nicht, wie erholsam das ist. Vor deinem Beichtstuhl müßten sie Schlange stehen.«
    Der Bischof lachte.
    »Hast du auch die Antwort, was Richard Valence angeht?«
    »Derlei Antworten muß man ganz allein finden, mein Liebling.«
    »Verdammter, abgefeimter Bischof. Bleibst du zum Abendessen? Ich weiß, es ist spät, aber heute ist Freitag.«
    »Freitag …«, sagte Lorenzo, »das heißt Fisch.«

21
    Richard Valence, der sein Zimmer noch wenige Stunden zuvor in vollständiger Beherrschung seiner Fähigkeiten verlassen hatte, war erbittert, diese Stabilität so schnell verloren zu haben. Er ging mit raschen Schritten. Dieser Dreckskerl von raffiniertem Bischof und sein Biest von Schützling hatten ihn in eine heikle Situation gebracht, das spürte er. Es gelang ihm nicht gänzlich, sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Wie wenn man ein sehr schweres Möbelstück verschoben hat und es einem danach nicht gelingt, dessen Füße wieder genau in Übereinstimmung mit den Abdrücken am Boden zu bringen. Oder wie wenn man es nicht schafft, ein Hemd so zusammenzulegen, wie es die Verkäuferin getan hat. Die Falten im Stoff sind da, deutlich sichtbar, man folgt ihnen, aber das Ergebnis ist nicht mehr perfekt, es ist etwas Individuelles geworden.
    Wäre Tiberius jetzt vorbeigekommen, hätte er ihm gegenüber nicht mehr diese unbegründete Nachsicht gezeigt. Seit dem frühen Abend hatte er nicht nur die Ohrfeige dieses jungen Knallkopfs hinnehmen, sondern auch noch der Verachtung dieses Mädchens und den hochmütigen Reden ihres Zuhälters in Soutane die Stirn bieten müssen. Er konnte viel einstecken, bevor er zu zittern begann, aber an diesem Abend spürte er, daß nicht mehr viel kommen durfte. Eigentlich mußte er jetzt etwas essen und dann schlafen. Das würde ausreichen, um seine Ruhe wiederherzustellen. Morgen Ruggieri aufsuchen, ihm den Bericht aushändigenund den ersten Zug nach Mailand erwischen. Dann die Reaktion des Ministers abwarten und entscheiden. Sicherlich eine andere Arbeit suchen. Sein so gewissenhafter Kollege Paul würde sich alle Fingernägel abbeißen, wenn er erführe, daß er die Wahrheit in alle Winde gestreut hatte. Nicht schade um die Fingernägel. Er würde niemandem eine Entschuldigung

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