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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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sie sich bereithalten mußte. Er durfte um keinen Preis merken, daß sie nur noch an einem seidenen Faden hing. Früher hatte sie keine Angst vor ihm gehabt. Sie hatte ihn ohne Angst anfassen können. Sie bewegte ihre Hand auf ihn zu und legte sie flach auf sein Hemd, ohne ihn zu wecken. Sie erinnerte sich an diesen Kontakt. Sie könnte versuchen, so sitzen zu bleiben, bis sie keine Angst mehr haben würde, bis sie die Ruhe wiederfinden würde, die sie früher gehabt hatte, als sie ihn liebte.
    Sie hatte keine Lust mehr, zu kämpfen. Der Tod Henris, sein abstoßendes Gesicht auf dem Tisch im Leichenschauhaus, der Druck, den Édouard Valhubert auf sie ausübte, der Kleinkrieg um Gabriella, ihr Schwarzhandel, aus dem man einen Skandal machen würde, und Richard Valence, der sich in ganzer Größe gegen sie aufrichtete – das alles war zuviel auf einmal. Die Stirn auf die Faust gestützt, die andere Hand weiter auf Valences Brust gelegt, merkte Laura, wie sie für Augenblicke wegsackte. Lorenzo, Henri und Richard hatten ihr das Leben nicht leicht gemacht. Es tat ihr um Henris Ermordung nicht leid, dessen war sie jetzt sicher. Ach, hätte sie doch so einschlafen können, auf ihre Hand gestützt oder vielleicht sogar an ihn geschmiegt, und frei von aller Angst am nächsten Tag wieder gehenkönnen. Mein Gott, warum konnte sie das nicht tun, wo es doch so einfach war?
    Auf der Suche nach etwas zu trinken stand sie langsam auf und tastete sich durch das Zimmer. Das leise Klirren des Glases schreckte Valence auf.
    »Keine Angst«, sagte sie, »ich schenke mir nur ein Glas ein.«
    Richard Valence machte Licht, und sie hielt sich die Hand vor die Augen. Vorbei die Dunkelheit.
    »Ist es normal, daß ich Sie mitten in der Nacht in meinem Zimmer antreffe, wo Sie gerade etwas trinken?« fragte Valence und stützte sich auf einen Ellbogen.
    »Ist es normal, daß du auf deinem Schreibtisch mein Todesurteil vorbereitet hast? Was ist das? Gin?«
    »Ja.«
    Laura verzog das Gesicht.
    »Wenn es nichts anderes gibt«, sagte sie und schenkte sich ordentlich ein.
    Valence war aufgestanden, fuhr sich über das Gesicht und zog das Jackett an.
    »Du gehst?«
    »Nein. Ich ziehe mich an.«
    »Das ist klüger«, bemerkte Laura.
    »Was suchst du hier? Deine Erlösung? Die bekommst du nicht.«
    »Doch.«
    »Nein. Wie bist du hereingekommen?«
    »Durchs Fenster, wie die Vampire. Weißt du, daß Vampire nur dann ein Schlafzimmer betreten können, wenn der Schläfer es sich sehnlich wünscht?«
    »Ich habe mir nicht sehnlich gewünscht, daß du in diesem Schlafzimmer erscheinst.«
    »Ich weiß. Deshalb habe ich auch die Tür aufgebrochen, wie alle Leute. Vernichte den Bericht, und ich gehe.«
    »Weißt du, was da alles drinsteht?«
    »Ich glaube ja. Tiberius war zwar ein bißchen exaltiert, aber präzise.«
    »Geh, Laura.«
    »Du wirkst erschöpft.«
    »Jede Ermittlung erschöpft einen. Laß mich jetzt.«
    »Ist das alles, was du sagen kannst, seit ich dich wiedergesehen habe: ›Laß mich‹? Und du? Läßt du mich in Ruhe?«
    »Ich habe niemanden umgebracht.«
    »Ist dir eigentlich klar, was du in Frankreich für einen politischen Skandal auslösen wirst? Was geht es dich an, daß ich Henri umgebracht habe? Das ist doch deine Karriere nicht wert.«
    »Stillschweigende Duldung eines Mordes – ist es das, was du von mir willst?«
    »Warum nicht?«
    »Warum glaubst du, ich würde da mitmachen?«
    »Der schönen Geste wegen, der Erhabenheit der Seele, der Erinnerungen wegen. Wegen all dem zusammen.«
    »Hör auf mit dem Gin, Laura.«
    »Mach dir keine Sorgen, ich sag dir genau Bescheid, wenn ich betrunken bin. Vernichtest du den Bericht?«
    »Nein. Aber ich werde deine Anwesenheit nutzen, ihn zu vervollständigen. Du stehst dich also gut mit der römischen Unterwelt? Du schmuggelst?«
    »Aber nein. Mein Koffer schmuggelt. Wenn ich in Rom ankomme, ist nichts drin. Wenn ich wieder fahre, sind lauter unglaubliche Sachen drin. Was soll ich tun? Der Koffer lebt sein Kofferleben. Wenn es ihm gefällt, einen Haufen Kram herumzuschleppen, ist das seine Sache, da werd’ ich mich nicht einmischen. Man trennt sich doch nicht von einem Koffer, nur weil er von Zeit zu Zeit seine Unabhängigkeit nutzt. Er ist wie ein Kind, das ausreißt, man muß sich drangewöhnen. Ich bin überzeugt, daß es mit jedem beliebigen Koffer von neuem losgehen würde. Ach, übrigens, neulich hat es sogar mit meiner Handtasche angefangen, ich vermute durch Ansteckung. Leicht bei der

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