Im Schatten des Pferdemondes
noch einmal: »Welches Fohlen meinen Sie?«
Turner legte sich etwas bequemer zurecht. »Nach Sunrise zurück ...«, murmelte er, und dann, wie in einem Nachgedanken, »Solitaires Fohlen.«
Eric erstarrte: »Solitaire ist tragend?«
Er rüttelte Turner, aber der war schon wieder zurückgedriftet in die Nebel seiner Whiskybewußtlosigkeit.
Eric umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen, bis die Knöchel weiß wurden, bot alle Willenskraft auf, um nicht auf das Steuer einzuhämmern. Eine verstörte, trächtige Stute! Na, wunderbar! Mit einem tiefen Atemzug stieg er aus. Er brauchte jetzt Luft. Viel Luft, und vor allem Bewegung und Ruhe. Gütiger Gott, sie war trächtig! Wütend trat er gegen einen Baumstumpf. Ein verängstigtes, verstörtes Pferd mit einem neuen Leben in seinem Leib! Wenn Solitaire so schlimm dran war wie – na, wie zum Beispiel Lance damals, würde es nicht ausbleiben, daß sie sich massiv wehrte. Das war in der Anfangsphase einer Behandlung, während der er ein Gespür für das Pferd entwickeln mußte, immer ein schwer einschätzbares Risiko: wie weit ging die Bereitschaft des Pferdes, sich selbst zu verletzen, nur um von den Menschen fortzukommen? Er hatte Pferde kennengelernt – und Lance gehörte dazu –, die eher bereit waren, sich sämtliche Knochen im Leibe zu zerschlagen, als sich noch einmal auf Menschen einzulassen; genau wie ein Fuchs in der Falle bereit ist, sein eigenes Bein abzubeißen. Die meisten Menschen reagieren darauf mit Zwang und Brutalität. Und natürlich wandten die Pferde, die schon viele Schlachten geschlagen hatten, die ihnen aufgezwungenen Maßstäbe zunächst einmal auf alle Menschen an. Es dauerte seine Zeit, bis sie wirklich glauben konnten, daß es anders geht. Es war ein langwieriger Lernprozeß; und es blieb einfach nicht aus, daß es in seiner Anfangsphase zu massiven Reaktionen des Pferdes kam, die seine Gesundheit, im schlimmsten Fall sein Leben, gefährdeten.
Und nun war Solitaire zu allem Überfluß auch noch trächtig! Es konnte nur eine Entscheidung für ihn geben. Er würde Solitaire erst betreuen, nachdem sie gefohlt hatte. Er wollte nicht riskieren, daß sie ihr Fohlen verlor.
Das Tageslicht schrumpfte zusammen. Irgendwo über den dichten Laubkronen der Buchen und Birken glitt die Sonne gen Westen. Er sah den Sonnenuntergang nicht, aber er tappte schließlich durch eine kaum mit den Blicken zu durchdringende Dunkelheit zum Wagen zurück. Als er seine Hand auf das kalte Metall der Wagentür legte, hatte er zu einer klaren Entscheidung befunden. Ein leichter Wind streifte die Baumkronen, und das Rascheln und Wispern der Bewegung setzte sich nach unten fort.
Als er auf Sunrise anlangte, stürmte ihm Louise entgegen.
»Wo waren Sie so lange? Alles war bereit für Sie, und Sie haben einfach einen Tag Urlaub genommen! Wie können Sie es wagen! Meine Mutter bezahlt Ihnen die Zeit – und Sie verschwinden einfach, Sie kümmern sich nicht um Ihre Verpflichtungen!«
»Hören Sie, Louise ...«
»Nein! Keine Ausflüchte! Sie sind ein Scharlatan! Mutter war krank vor Sorge!«
»Hören Sie, ich mußte einen Platz für Lance suchen, und dann gab es unten im Dorf eine schwierige Geburt, ich mußte helfen.«
»Ach, Lügen, nichts als Lügen!«
Sie stand unmittelbar vor ihm, im Schein der Lampen der Frontterrasse sah er ihr Gesicht. Wie haßverzerrt es war!
»Sie spielen sich gerne auf, nicht wahr?« Er trat einen Schritt näher zu ihr, die Hände hinter dem Rücken zusammengelegt. Sie wich langsam zurück, plötzlich bleich und mit aufgerissenen Augen.
»Ich habe da eine Frage, Miss Fargus.«
Er hatte sie bis an das Geländer der Freitreppe gedrängt, ohne sie auch nur zu streifen; es war einzig seine schiere körperliche Präsenz, die Kraft und der schweigende Zorn, die von ihm ausgingen, die sie Schritt für Schritt vor ihm herschoben. »Nur eine Frage.«
Sie starrte ihn an. Trotz des Lichts von der Terrasse waren ihre Pupillen so weit, daß ihre blauen Augen beinah schwarz wirkten. »Bleiben Sie mir vom Leib! Gehen Sie!«
»Ich gehe, junge Lady, und liebend gern. Aber vorher will ich eine Antwort.«
»Wo ... worauf?«
Plötzlich schwang die Tür zu Sunrise-House auf, und das aus der Halle flutende Licht zeichnete Emilys Silhouette scharf nach. Ihre Stimme klang hart, als sie fragte: »Was geht hier vor?!«
»Oh, Mama, ich bin so froh, daß du da bist! –« Louise wandte sich von Eric ab und stürzte die Stufen der Freitreppe hinauf in die Arme ihrer Mutter. Emily
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