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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Kahi
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müsste durch die Wohnung hüpfen, die Küchenschränke mit seinen Nutellafingern verschmieren und darum betteln, mit seinem Vater im «Wildpark Roggenhausen» die Geisslein streicheln zu gehen.
    «Fuck! Fuck! Fuck!»
    Gunnar Norberg, der neben dem toten Kind kauerte und ihm ein rundes Stück Löschpapier auf das Einschussloch am Hinterkopf presste, sah irritiert auf.
    «Ich geh ja schon», herrschte Unold ihn an. Bestürzt erkannte er, dass er sich in seinem Umgangston kaum mehr von Geigy unterschied. Eilig kehrte er ins Wohnzimmer zurück, achtete nicht darauf, wo er hintrat, wollte einfach nur weg aus dieser Welt, wo eine Sechsjährige von einem weiss vermummten Mann mit Klebebändern und Löschblättern nach Fasern und Schmauchspuren abgesucht wurde.
    «Pass doch auf, du Arschloch!» Norbergs Kollege blitzte ihn über den Mundschutz hinweg an. In der Hand hielt er einen abgesägten Besenstiel oder etwas Ähnliches, aus dem ein langer Nagel ragte. Er liess die eigenartige Konstruktion sorgfältig in einen nummerierten Klarsichtbeutel gleiten.
    «Abzugsverlängerung», sagte Geigy knapp. «Oder versuchen Sie mal, sich ohne so was mit einem Sturmgewehr in den Mund zu schiessen.»
    «Das hätten Sie wohl gern.» Unold drückte sich an Geigy vorbei zur Wohnungstür. «Zuerst kümmere ich mich um die Aussagen der Meute draussen.»
    «Ich will Sie nicht kränken, aber das überlassen Sie besser meinen Leuten; die verstehen wenigstens was davon. Sie hängen sich an die Fersen unserer Amtsärztin – sollte ihr was Aussergewöhnliches auffallen, rufen Sie mich.» Geigy schob sich an Unold vorbei ins Treppenhaus, die Schultern leicht vornübergebeugt, der Gang schleppend. «Was halten Sie noch lange Maulaffen feil. An die Arbeit! Oder muss noch jemand sterben, weil wir gepatzt haben?»

ACHT
    Die auf zwölf Uhr anberaumte Teambesprechung hätte schon vor zwanzig Minuten beginnen sollen, doch noch immer liess sich Geigy nicht blicken. Allmählich machte sich Unold ernsthafte Sorgen.
    Auf dem Weg zum Polizeikommando hatte Geigy nur das Nötigste gesprochen; drei kurze Anrufe hatten ihm genügt, um die ausserordentliche Mittagssitzung zu organisieren. Im Polizeikommando hatte er Unold wortlos in den sogenannten Bunker geschoben und war in seinem Büro am Ende des Flurs verschwunden.
    Längst war Unold im fensterlosen Hightechsitzungs- und Katastrophenbewältigungszimmer nicht mehr allein. Die Vertreter sämtlicher in den Fall involvierter Stellen waren versammelt: Ermittlung, Kriminaltechnik, Staatsanwaltschaft sowie die zur Verstärkung hinzugezogene Fahndung; die Rechtsmedizin würde sich online melden, sollte sie im Lauf des Nachmittags etwas zu berichten haben.
    Zum gefühlt tausendsten Mal ging Unold an den Wandnischen vorbei, die jede für sich ein mit allen Schikanen ausgerüstetes Miniaturbüro darstellten. Die Zwischenwände waren erstaunlich kahl. Unold hätte Karten, Einsatzschemata und Notizzettel erwartet; stattdessen hing rechts jeweils eine grosse beschreibbare Magnettafel und links ein wechselnder Merksatz: «Bei der Tatortarbeit gibt es keine zweite Chance»– «Eine zerstörte Spur ist eine verlorene Spur»– «Sinn der Tatortarbeit ist es, Spuren zu schützen, und nicht, vorhandene zu zerstören oder neue zu legen». Unold fragte sich, ob die B3-Bogen schon immer hier gehangen hatten oder ob sie die Frucht der Feindseligkeit zwischen Geigy und Norberg waren.
    Der Staatsanwalt stand mit dem Gesicht zur Wand in der hinteren Ecke des Bunkers und sprach in sein Smartphone. Das kaltweisse Licht der Leuchtstofflampe spiegelte sich auf seiner Glatze, was ihn grösser erscheinen liess, als er war.
    Unweit des Staatsanwalts lehnte Norberg am monströsen Konferenztisch. Im Minutentakt hob er den Arm und starrte auf die silberglänzende Rolex an seinem Handgelenk. «Wenn der Laffe nicht bald kommt, hat er mich gesehen», raunzte er. «Hab noch anderes zu tun, als Däumchen zu drehen.»
    Iris Häuptlein, Liam Nasser und Gilles Desnoyer, die sich Unold vor wenigen Minuten als Team «Leib und Leben» vorgestellt hatten, gingen auf Norbergs Ausbruch nicht weiter ein. Sie sassen am unteren Ende des schwarz lackierten Tischs und sprachen leise miteinander.
    «Gross den Boss raushängen und selbst zu spät kommen. Mehr hat der nicht drauf.»
    «Jetzt krieg dich wieder ein, Gunnar. Er wird einen wichtigen Anruf bekommen haben.» Gilles Desnoyer klopfte mit der flachen Hand auf die Sitzfläche des Stahlrohrstuhls neben sich.

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