Im Schatten des Teebaums - Roman
denn für einen Beweis?«, rief jemand.
Es war nicht zu übersehen, dass die Gruppe feindselig gestimmt war.
Eliza warf einen Blick auf ihren Chef, der unter großem Aufheben einen der Ballen Felle untersuchte. Mit einem Taschenmesser, das er sich von Neddy geborgt hatte, machte er sich daran, den Ballen aufzuschlitzen. Neddy hatte nicht gewusst, was George vorhatte, daher sah er ihm jetzt ungläubig zu.
»He!«, rief Mick Brown wütend. »W as fällt Ihnen ein, an meinen Kaninchenfellballen herumzuschnippeln?«
Der Ballen platzte auf, und braune und graue Felle fielen auf den Bahnsteig.
Voller Entsetzen warf Eliza einen Blick auf ihren Chef. Es waren keine Schaffelle darin. Der Ballen enthielt nichts als Kaninchenfelle. George schnitt auch Willie Wades Ballen aus Snuggery auf. Er enthielt ebenfalls nichts als Kaninchenfelle.
George kam sich wie ein Narr vor, und Eliza wäre am liebsten im Boden versunken. Sie hatte ihren Chef überzeugt, dass in den Ballen Schaffelle zu finden seien, und – was noch wichtiger war – dass sie dadurch Noahs Namen reinwaschen könnten, doch der Plan war gründlich fehlgeschlagen. Eliza wusste, dass George sie feuern würde, und das war schon schlimm genug; vor allem aber konnte sie den Gedanken nicht ertragen, Noah zu enttäuschen.
»W as haben die Kaninchenfelle denn mit dem Schafdieb zu tun?«, rief jemand aus der Menge.
Eliza spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.
»W o ist denn nun dieser Beweis?«, fragte Mick Brown höhnisch. Die Leute begannen zu lachen und brachten Eliza vollends aus dem Konzept.
Sie wäre am liebsten davongerannt, um sich irgendwo zu verkriechen, aber sie konnte George Kennedy in dieser Situation nicht sich selbst überlassen. Sie waren den Leuten Erklärungen schuldig, und nun war es an Eliza, ihnen diese Erklärungen zu geben. Sie sah, dass George wütend und enttäuscht war, und sie wusste, dass ihr gewaltiger Ärger bevorstand.
In diesem Augenblick wurde die Aufmerksamkeit der Menge abgelenkt, und ihnen stockte der Atem. Vom Bahnsteig aus konnten Eliza und George über die Köpfe der Menge hinwegsehen. Die Aborigine-Fährtenleser kamen mit Mannie Boyd und einem anderen Mann in die Stadt geritten, gefolgt von ihren Hunden. Und dann sah Eliza Noah auf seinem Esel. Man hatte ihm die Hände gebunden, und er ließ den Kopf hängen. Sein Esel wurde an einem Seil mitgeführt, das an den Sattel von Mannies Pferd gebunden war. Eliza sah Blut auf Noahs Gesicht und musste unwillkürlich an ihre Tante denken. Sie konnte sich vorstellen, dass Tilly gekämpft hatte, um Noah zu retten. Nur der Himmel wusste, was die Meute mit Tilly angestellt hatte. Eliza bekam panische Angst.
»W o ist Tante Tilly?«, fragte sie George.
Myra hatte sie gehört. »Haben Sie Tante Tilly gesagt?«, fragte sie.
Eliza blickte zu ihr hinunter. »Ja, Tilly Sheehan ist meine Tante. Das wussten Sie noch nicht, stimmt ’ s?«
Myra schaute die Frauen um sich herum verlegen an, gab aber keinen weiteren Kommentar ab.
»Hier haben wir den Schafdieb«, brüllte Mannie, während er vom Pferd stieg.
»Noah ist unschuldig!«, rief Eliza verzweifelt. »Lassen Sie ihn frei!«
»Kommt nicht in Frage«, schrie Mannie. »Der Kerl wird hängen.«
»Das können Sie nicht tun!«, stieß Eliza hervor, die die Tränen kaum noch zurückhalten konnte. »Jeder Mann hat einen fairen Prozess verdient! Es verstößt gegen das Gesetz, ihn zu hängen!« Sie würde nichts unversucht lassen, um Noah zu retten, selbst wenn das hieß, dass sie ihren Job verlor. Noah war unschuldig!
»W arum noch Zeit mit einem sinnlosen Prozess vergeuden?«, sagte Mannie, während er ein Seil über einen der Querbalken warf, die das Dach des Bahnhofs stützten. Dann drehte er eine Schlinge und legte sie Noah um den Hals. »W ir wissen doch, dass er die Schafe gestohlen hat, die verschwunden sind.«
Die Männer, die Schafe verloren hatten, jubelten laut, umringten Noah auf dem Esel und machten sich über ihn lustig.
»Jemand muss etwas unternehmen!«, schrie Eliza verzweifelt. Sie konnte sehen, dass Mary Corcoran ihren Mann anflehte, einzugreifen und zu verhindern, dass Noah gehängt wurde, doch Ryan allein konnte gegen so viele Männer nichts ausrichten. Der Mob wollte schon seit einer ganzen Weile Blut sehen, und die meisten waren überzeugt, dass Noah der Schafdieb war.
Eliza wandte sich um, als sie das Klappern von Pferdehufen hörte. Unendlich erleichtert sah sie Brodie auf einem Wagen in die Stadt kommen.
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