Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
er ihr leise.
"Ich konnte Sie nicht bei Ihnen daheim aufsuchen", erklärte sie rasch, "Ihre Mutter hat mir das Haus verboten."
"Aber doch hoffentlich nicht etwa meinetwegen?", fragte er erschrocken.
Sie lächelte. "Wohl eher meinetwegen", gestand sie, "ich bin zum Schluss ziemlich frech geworden."
"Ja, das habe ich allerdings schon gehört. Meine Mutter war völlig aufgewühlt. Was um Himmels Willen haben Sie ihr nur gesagt?"
Hazel errötete. "Das kann ich Ihnen unmöglich wiederholen!", flüsterte sie verlegen.
Als sie aufblickte, war sein Gesicht nah bei ihrem, seine Augen schauten in die ihren.
"Oh, Matthew!", seufzte er.
Im nächsten Augenblick lagen sie sich in den Armen.
Ihre Lippen suchten und fanden sich. Im selben Moment, als sein Mund den ihren berührte, erkannte Hazel, welche Sehnsucht sie nachts wachgehalten hatte.
Sein warmherziger Blick, der sie ganz umhüllte, seine sanften Hände, die sie zärtlich berührten, seine Arme, die sie behutsam an seinen warmen weichen Körper zogen ... Hazel schloss die Augen und schmiegte sich an ihn.
James riss sich los.
"Gott, Matthew!", stieß er verzweifelt hervor: "Begreifen Sie nicht, dass ich vor Ihnen geflohen bin?"
"Sie brauchen nicht länger zu fliehen", erwiderte sie mit erstickter Stimme.
"Oh doch, das muss ich!", widersprach er ihr heftig. "Wenn Sie wüssten, wie ich die heutige Nacht verbracht habe! Ich konnte kein Auge zutun. Immer wieder tauchte Ihr Bild in mir auf. Als Sie gestern in der Bibliothek vor mir standen und mich so ansahen, ich war von Ihnen so sehr bezaubert, dass ich mich völlig vergessen habe. Herr im Himmel! Ich könnte Ihr Vater sein! Ich habe mich so schuldig gemacht."
Hazel blickte ihn zutiefst bewegt an. Sie wusste, dass sie ihn mit einem Satz erlösen konnte – und im selben Moment auf immer verlieren würde. "Lord James ...", begann sie unsicher.
"Nein, sagen Sie nichts", unterbrach er sie. "Was ich für Sie empfinde, Matthew, übersteigt alles, was ich jemals für eine Person empfunden habe. Ich hätte geschwiegen, hätte dieses Geheimnis für immer vor Ihnen verborgen, wenn Sie mir nicht von Anfang an so offen Ihre Gefühle gezeigt hätten. Im ersten Moment, als Sie mir in die Augen sahen, wusste ich sofort, dass ich Ihnen keineswegs gleichgültig bin, dass auch Sie mir eine Zuneigung entgegenbringen. Ich wünschte, ich wünschte mir so sehr, dass unsere Liebe eine Zukunft hätte. Aber ich stehe ständig im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Es mag ja Zeiten gegeben haben, in denen selbst der Papst sich einen Lustknaben hielt, aber ich nehme mein Amt Ernst. Ich habe Grundsätze. Ich ... Oh, Matthew! Zwischen uns beiden kann niemals etwas sein!"
Sie senkte den Blick. "Lord James", stieß sie zitternd hervor, "die Person, die Sie lieben, gibt es nicht."
Er blickte sie irritiert an. "Wie meinen Sie das?"
"Ich bin ein Mädchen!"
Er schaute sie ungläubig an.
"Also sind Sie Viola? Und der echte Matthew ist dann Ihr Bruder?", fragte er verwirrt.
"So begreifen Sie doch: Viola und Matthew sind ein und dieselbe Person. Ich bin es allein. Wir sind keine Geschwister. Es gibt auch keine alte Mrs. Hawthorne, die wir abwechselnd pflegen. In Wahrheit heiße ich weder Viola noch Matthew - und noch nicht einmal Hawthorne."
"Aber warum ...?"
"Die Polizei sucht mich. Ich hab nichts verbrochen, wirklich nicht, aber ich musste untertauchen. Deshalb habe ich die Kleidung eines Jungen angezogen. Aber ich flehe Sie an, das niemandem zu verraten."
"Was erzählen Sie mir da ...?", fragte verstört.
Hazel schluckte schwer. "Es tut mir so Leid!", stieß sie den Tränen nahe hervor. "Ich habe Sie niemals mit Absicht täuschen wollen. - Leben Sie wohl!"
Er fasste ihre Hände. "Was haben Sie vor?"
"Ich werde London verlassen. - Suchen Sie mich nicht!"
Sie wandte sich um und wollte hinauseilen, aber vor der Tür holte er sie ein und hielt sie zurück. "Weiß John davon?", fragte er.
"Ja, natürlich", bekannte sie. "Er hat es als Erster herausgefunden."
Er nickte. "Jetzt wird mir einiges klar ...", murmelte er.
Hazel blickte zu ihm auf. "Sie sind ein wundervoller Mann!", flüsterte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihm flüchtig die Wange. "Adieu!", hauchte sie und huschte hinaus.
Die kühle Luft draußen tat gut. Hazel ging mit großen Schritten rasch durch die Straßen; Menschen, Hunden und Karren blind ausweichend.
Donnerstag. Hoffentlich hielten Kirby und Hayward ihre übliche Stunde Training im Fechtclub ab.
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