Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
mit einer gleichgültigen Geste zu der Tür nach nebenan.
Hatte Hazel die gute Stube bereits mit Unbehagen gemustert, so verursachte ihr dieser noch kleinere, noch dunklere Raum sofort unüberwindliche Übelkeit. Ein unerträglicher Geruch lag in der Luft. Zudem war es recht warm, als hätte sich die Hitze der letzten Tage als pure Glut in diesem Raum niedergeschlagen. Gegenüber dem Bett hing absurderweise ein Bild von einer Winterlandschaft im niederländischen Stil, ein Hügel mit Schlitten fahrenden Kindern, dunkel eingemummelten Figuren mit roten Backen, dahinter ein zugefrorener See mit Schlittschuhläufern. Über allem ein diesiger grauer Himmel mit einem gelblichem Farbstich, den der rissige Firnis über alles zog.
Kirby ging auf das Fenster zu und zerrte die Vorhänge beiseite. Gleißende Helle drang von außen herein, fiel direkt auf das Krankenlager und enthüllte ein leichenblasses Angesicht, dessen linke Seite von eiternden Pusteln entstellt war. Kirby wollte das Fenster öffnen, aber es gelang ihm nicht mal mit äußerster Kraft, den eingerosteten Riegel zu drehen.
Es läutete scheppernd. "Roberta! Der Priester!", hörte man Mrs. Shandeltons schrille Stimme. Schlurfende Schritte verklangen Richtung Haustür.
"Es ist doch nicht etwa ansteckend?", wisperte Hazel.
"Auch wenn‘s nicht so aussieht, das ist nur ein harmloser Ausschlag", behauptete Kirby leise. "Woran er stirbt, dass ist eine Schusswunde im Bauch. Hoffentlich ist er überhaupt noch in der Lage, das Jawort zu sprechen. Verflucht, warum hat die Alte nicht Bescheid gesagt, dass es ihm so viel schlechter geht!"
Hazel musterte den Kranken, den Schweiß auf seiner Haut, das wirre Haar, seinen speckigen Hemdkragen, die Flohbisse an seinem Hals, seine gesprungenen Lippen, das verfleckte Bettlaken, das angetrocknete Essen im Teller auf einem Stuhl, den man neben das Bett geschoben hatte, und versuchte vergeblich, den ekelerregenden Geruch von Urin und Erbrochenem zu ignorieren.
"Vielleicht, weil sie seit zwei Tagen das Zimmer nicht mehr betreten hat", vermutete Hazel.
Der Kranke öffnete die Augen und stöhnte.
"Gibt es hier irgendwo im Haus Wasser, das man tatsächlich trinken kann?", erkundigte sich Hazel mitleidig.
Kirby schnappte sich Fred, der an der Tür herumlungerte. "Hol ein Glas Wasser für deinen Vater!", trug er ihm auf. Fred überlegte tatsächlich zwei Sekunden, ob er diesem Auftrag Folge leisten sollte, bevor er sich trollte. Man hörte den Priester die knarrenden Treppenstufen heraufkommen.
Fred tauchte mit einem Tonbecher auf, der einen Sprung hatte, aus dem Wasser sickerte. Hazel zog ihre weißen Handschuhe aus, nahm den Becher entgegen und hielt ihn dem Kranken hin. Als die kühlen Wassertropfen auf seinen Hals fielen, hob der Kranke seine Lider und richtete seinen Blick auf Hazel. Seine Augen hatten einen seltsamen unnatürlichen Schimmer. Ihr wurde klar, dass Leutnant Shandelton ohne Hilfe nicht würde trinken können. In der Hoffnung, dass keine Läuse und Flöhe auf sie überwechseln würden, fasste sie dem Kranken in den Nacken, hob seinen Kopf an und hielt ihm den Becher an die Lippen, damit er trinken konnte. Das meiste Wasser lief aus den kraftlosen Mundwinkeln wieder heraus. An ihrer Hand schien der unangenehme Eindruck, den sein verschwitztes Haar hinterlassen hatte, kleben geblieben zu sein.
Der Priester trat ein.
"Haben Sie die Lizenz?", fragte er anstelle eines Grußes.
Kirby übergab ihm ein Papier, das er auseinanderfaltete und flüchtig überflog. Die Heiratslizenz, die man benötigte, wenn man nicht das Aufgebot von einer Woche Dauer abwarten konnte, war vom Bischof von London unterzeichnet, und Hazel bekam einen Kloß in der Kehle, als sie erkannte, dass die schwungvolle Unterschrift von Lord James Hayward persönlich stammte.
"In Ordnung. Sie sind die Braut?", wandte er sich freundlich an Hazel.
Hazel zitterte. Sie brachte es nicht einmal fertig zu nicken, so abgestoßen war sie von der ganzen Szenerie. Ihr war schlagartig klargeworden, dass sie sich niemals würde überwinden können, diesen Mann zu heiraten.
Der Priester hatte sein Gebetbuch umständlich ausgepackt und an einer mit einem roten Bändchen gekennzeichneten Stelle aufgeschlagen. Er blickte sich suchend um, wohl nach einem Platz, wo er das Buch abstellen könnte, behielt es jedoch zuletzt lieber in der Hand und begann in einem salbungsvollen Singsang, der keinen Zweifel daran ließ, dass er solche Heiraten des öfteren durchführte,
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