Im Schatten dunkler Mächte
Text, der so untypisch für Alina und ein weiterer untrüglicher Beweis dafür war, dass er Gehirnwäsche mit ihr betrieben und mit dieser vieltausendfachen Stimme zu ihr geredet hatte wie zu mir in den Höhlen unter dem Burren, als er mir befahl, ihm das Amulett zu geben und mit ihm zu kommen. Ich war damals nicht imstande gewesen, mich ihm zu widersetzen. Allein mit der Kraft weniger Worte hatte er mich in eine willenlose Marionette verwandelt. Wäre Barrons nicht gewesen, dann wäre ich ihm gefolgt wie eine gehorsame Sklavin. Aber auch Barrons beherrschte die Druidenkunst der vieltausendfachen Stimme und hatte mich damit aus dem Bann des Lord Master befreit.
Ich kannte meine Schwester. Sie war in Ashford glücklich gewesen und hatte es geliebt, so zu sein, wie sie war: intelligent, erfolgreich und lustig. Sie hatte mich und fast jeden in der Stadt idealisiert â diejenigen, deren lächelndes Gesicht in der Zeitung zu sehen war, wenn sie auf die eine oder andere Art geehrt wurden, und diejenigen, die alles richtig machten.
Er nennt mich seine Königin der Nacht.
»Königin der Nacht«, du meine Fresse! Meine Schwester hatte sich nie gewünscht, die Königin von irgendwas zu sein, und wenn doch, dann sicherlich nicht die Königin der Nacht. Es wäre etwas Fröhlicheres gewesen, so was wie die Königin der alljährlichen Pfirsich-&-Kürbis-Parade in Ashford. Sie hätte eine schimmernde orangefarbene Schärpe und ein silbernes Diadem getragen, und am folgenden Tag wäre ein Foto von ihr auf der ersten Seite des Ashforder Journal-Constitution abgebildet gewesen. Ich habe mir immer gewünscht, mehr wie Mac zu sein. Das hatte sie kein einziges Mal zu mir gesagt. Ihr ist es gleichgültig, ob die Leute sie faul und selbstsüchtig nennen. Hatten die Leute das wirklich über mich gesagt? War ich taub gewesen oder nur zu gleichgültig, um mich darum zu scheren?
Und was sie über Sex geschrieben hatte, sah meiner Schwester ganz und gar nicht ähnlich. Alina mochte die Hundestellung überhaupt nicht. Sie fand das erniedrigend. Auf die Hände und Knie, Baby. Vor allen Dingen! Machâs doch selber, hatte sie lachend gesagt.
»Siehst du, das ist nicht Alina«, sagte ich zu dem Blatt Papier.
Wen hatte meine Schwester in der Nacht, in der sie das geschrieben hatte, getötet? Ein Monster? Oder hatte der Lord Master sie dazu gebracht, einen der Guten für sie umzubringen? Wen wollte sie am nächsten Tag sehen? Hatte sie geplant, auch diese Person zu ermorden? Waren es Menschen, die sie getötet hatte, oder Feenwesen? Wenn es Feen waren, wie hatte sie diese zur Strecke gebracht? Ich hatte den Speer. Dani, ein Kurier von Post Haste, Inc., einer Tarnfirma für die Organisation der Sidhe-Seherinnen unter der Führung der Grand Mistress oder GroÃmeisterin Rowena, hatte das Schwert. Speer und Schwert waren, soweit ich wusste, die einzigen Waffen, mit denen man die unsterblichen Feenwesen töten konnte. Hatte Alina eine andere Waffe gefunden, von der ich nichts wusste? Warum hatte man mir ausgerechnet diese Seite aus ihrem Tagebuch geschickt?
Und die wichtigste und beunruhigendste Frage war: Wer hatte sie mir geschickt? Wer war im Besitz von Alinas Tagebuch? Vâlane, Barrons und Rowena â allehatten abgestritten, ihr jemals begegnet zu sein. Hatte mir der Lord Master persönlich dieses Papier zukommen lassen, weil er in seiner verdrehten Ãberheblichkeit dachte, dass ich ihn genauso attraktiv finden würde, wie es meine Schwester getan hatte? Wie üblich trieb ich in einem Meer von Fragen, und wenn Antworten die Rettungsboote waren, dann bestand die akute Gefahr, dass ich ertrank.
Ich nahm das Kuvert in die Hand und inspizierte es. Schlichtes weiÃes Velinpapier, dick gefüttert und geschmackvoll genug für eine Auftragsanfertigung; trotzdem verriet es mir nichts.
Die Adresse war sauber getippt und hätte überall auf der Welt mit einem Tintenstrahl- oder Laserdrucker ausgedruckt worden sein können.
M AC K AYLA L ANE c/o B ARRONS B OOKS AND B AUBLES , stand da.
Kein Absender. Der einzige Hinweis war der Poststempel von Dublin mit dem Datum von gestern. Das half mir kein Stück weiter.
Ich trank meinen Kaffee und dachte nach. Heute Morgen war ich früh aufgestanden, hatte mich angezogen und war in die oberste Galerie geeilt, um die neuen Tageszeitungen und Monatszeitschriften einzuordnen, aber der
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