Im Schatten (German Edition)
sie gezögert es zu tun, denn es fiel ihr ausgesprochen schwer. Ihre Mutter hatte nicht nur erhebliche Schwierigkeiten in der Firma gehabt, sie hatte auch ihre Ehe in Zweifel gezogen und ein Verhältnis mit ihrem viel jüngeren Chef gehabt.
» Er wird furchtbar enttäuscht sein von Mama. Er wird es niemals verstehen, vielleicht sogar alles in Frage stellen, was jemals zwischen ihnen war«, überlegte sie.
» Warum sagt du ihm dann nicht einfach, du hättest nichts herausgefunden?«
» Er hat ein Recht, die Wahrheit zu erfahren. Er gibt sich doch die ganze Schuld, meint, er hätte sie unglücklich gemacht.«
Sven jedoch überlegte noch weiter: »Wenn sich das herumspricht, was wird das wohl für Mark bedeuten? Scheidung, Verlust seines beruflichen Ansehens, kein Vertrauen mehr im Büro?«
» Sein Problem! Er hat es nicht anders verdient. Er ist ein arroganter, selbstgefälliger, gewissenloser, gefühlskalter Mistkerl.« Katherine verzog wütend das Gesicht. Sanft fragte Sven:
» Und deine Mutter? Bist du nicht auch böse auf sie?«
» Wie könnte ich böse auf sie sein? Sie hat ihn geliebt! Warum auch immer, sie hat ihn geliebt, wie sie vielleicht noch niemals vorher geliebt hat. Sie hat doch nicht aus Jux und Tollerei herumgehurt. Sie … oh Gott, man kann sich doch nicht aussuchen, wen man liebt. Wie kann ich ihr einen Vorwurf aus ihren Gefühlen machen?«
» Und du meinst, er hat ihre Gefühle nicht erwidert?«
Katherine schnaubte wütend. »Du hast doch selbst die letzten Eintragungen in ihrem Tagebuch gelesen. Sie hat immer mehr daran geglaubt, er würde sie lieben und es gäbe vielleicht eine Chance für sie beide. Und dann …« Immer noch wütend über das Gelesene schüttelte sie unwillig den Kopf. »Wie sehr muss es ihr wehgetan haben. Alle Hoffnung mit einem Schlag zerstört und sie zum Spielball gemacht, ins Lächerliche gezogen. Wie um alles in der Welt soll ich ihr böse sein?«
» Aber sie hat sich deswegen umgebracht. Einfach so aus dem Staub gemacht.«
Leise antwortete Katherine: »Ich weiß. Aber vielleicht war es ja nicht nur deshalb. Die Probleme im Büro kamen dazu und ihr ist zudem die Erkenntnis gekommen, dass sie mit ihrem Leben, mit meinem Vater doch nicht so glücklich war. Vielleicht fühlte sie sich gefangen in ihrem Leben und sah keine Möglichkeit, da herauszukommen.«
» Sie hätte sich doch scheiden lassen können.« Katherine schnaubte wieder kurz.
» Ja und dann? Mein Vater wäre ausgerastete, wir Kinder hätten ihr die Hölle heiß gemacht: ›Mama, wie kannst du nur? Mütter gehören zu ihren Ehemännern. Punkt.‹ Hättest du dafür Verständnis gehabt, wenn deine Eltern sich hätten scheiden lassen?«
Sven dachte eine Weile darüber nach, doch bevor er antworten konnte, fuhr Katherine fort:
»Selbst wenn Mark sich zu ihr bekannt hätte, was er nicht getan hätte. Dann wäre es doch nur noch schlimmer geworden. Eine verheiratete Frau und Mutter verlässt die Familie für ihren neun Jahre jüngeren Chef! Niemand hätte das verstanden.«
Sven schüttelte den Kopf. »Schlimm, dass es immer erst zu einer Tragödie kommen muss, bevor man die Beweggründe anderer versteht.«
Sie näherten sich dem Grab ihrer Mutter, das hinter der nächsten Kurve lag. Plötzlich hörten sie ein Geräusch, das sie innehalten ließ. Vorsichtig sahen sie um die Ecke, ohne sich jedoch zu zeigen. Am Grab hockte eine zusammengesunkene Gestalt auf einem Knie, einen Ellenbogen auf das andere gestürzt, die Faust vor den Mund gepresst, als sollte sie die Laute darin hindern, herauszukommen. Mark! Tränen liefen über sein Gesicht und er schluchzte haltlos. Immer wieder pressten sich Worte und Satzfetzen über seine zitternden Lippen:
» Warum? … Warum hast du das getan? … Meine Val … Warum hast du mich verlassen? …« Seine Stimme klang brüchig und verzweifelt. Plötzlich war alle Wut auf ihn aus Katherine wie fortgeblasen und sie ging zu ihm, hockte sich neben ihn und strich ihm vorsichtig über den Rücken. Aufgeschreckt sah er sie an. Eine plötzliche Erkenntnis ließ sie fragen:
» Du hast sie geliebt, oder? Du hast sie wirklich geliebt.« Zögernd nickte er.
» Ja, ich habe sie geliebt. Niemals vorher habe ich eine Frau so sehr geliebt wie sie.« Stumm sah er auf den schlichten Grabstein. Eine ganze Weile blieb er so. Dann war es, als musste er etwas loswerden:
» Valerie hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Diese Mischung aus Nervosität und Kampfgeist, Scheu und Stärke.
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