Im Schatten (German Edition)
anders. Sie hat mit Passfotos, Hochzeitsfotos und Werbeaufnahmen angefangen. Mittlerweile hat sie ihr gestecktes Ziel erreicht und sich als eine sehr gefragte Fashion-Fotografin einen Namen gemacht. Sie ist ständig unterwegs: London, Paris, New York. Wenn man Kinder hat, sollte man auch entsprechend Zeit für sie haben, und die haben wir beide nicht.« Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Aber es ist ein erheblicher Unterschied, ob man sich aktiv gegen ein Leben mit Kindern entscheidet oder eines verliert.« Wieder schwieg er für kurze Zeit. »Er war mein Sohn, verstehst du? Nicht eine rein theoretische Verschmelzung von Eizelle und Samen. Ich hab die Ultraschallbilder gesehen, hab ihn gespürt, wenn er sich bewegt hat, während ich meine Hand auf Connies Bauch gelegt habe. Es ist verdammt hart sein Kind zu verlieren, auch wenn man es ursprünglich nicht geplant hat, verstehst du?«
Er sah sie an , und Valerie nickte.
» Ja, ich verstehe. Es tut mir leid, Mark.«
» Ja, du verstehst.« Dankbar lächelte er sie an und Valerie spürte, wie eine während seiner letzten Sätze aufgetretene Spannung wieder von ihm abfiel. »Du verstehst. Ich hab es noch nie jemandem erzählt. Nicht mal Connie. Alle haben von mir erwartet, dass ich sie tröste. Aber niemand ist auf die Idee gekommen, mich zu trösten. Dabei habe ich doch auch meinen Sohn verloren.«
» Ich glaube, die Gefühle von Männern für ihre ungeborenen Kinder werden im Allgemeinen unterschätzt.«
Mark nickte. »Ja. Es geht immer nur um die arme Mutter. Natürlich war es schwer für Connie. Aber für mich nicht minder. Wenn ich sie in den Arm genommen habe, glaubst du, sie hatte auch nur ein Wort des Trostes für mich? Ich war so wütend und enttäuscht. Sie hat schließlich nicht aufgepasst und dann dreht sich auch noch alles um sie. Ich glaube, ich war auch ziemlich eifersüchtig.«
Valerie verstand ihn gut, doch bevor sie etwas sagen konnte, erzählte er weiter:
»Danach ging alles abwärts. Wahrscheinlich machte sie mir insgeheim Vorwürfe, dass ich das Studio nicht schon vorher renoviert habe und ich habe ihr heimlich Vorwürfe gemacht, dass sie so unvorsichtig war. Offen gesagt haben wir es nie. Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn wir uns einmal richtig gefetzt hätten. Stattdessen waren wir immer nett zueinander. Wir sind weiterhin gut miteinander ausgekommen, aber die Gefühle sind immer weiter abgekühlt. Dann bin ich zu Weigelt gegangen. Ich hatte vorher schon einige Jahre in einem Büro bei uns in der Stadt gearbeitet. Ich bin dann über die Stellenanzeige gestolpert. Weigelt suchte noch einen relativ jungen Architekten für die etwas größeren und aufwendigeren Projekte. Für mich war das eine gute Gelegenheit, mir gleich eine eigene Wohnung zu suchen, obwohl wir nie über eine Trennung gesprochen haben. Irgendwann dann hat sie sich einen anderen ins Bett geholt. Hat mich komischerweise nicht gestört. Ich habe dann auch damit angefangen. Ich war ständig auf der Suche, habe aber nicht gefunden. Tja, fragt sich, was diese Ehe noch Wert ist. Eigentlich sind wir nur noch gute Freunde, besuchen uns ab und zu mal gegenseitig, und wenn wir uns ganz einsam fühlen, schlafen wir auch mal miteinander, aber ziemlich selten.« Und nach einem kurzen Zögern fuhr er leise fort: »Wenn ich ehrlich bin, schon seit Monaten nicht mehr.«
Valerie war sehr geschockt von diesem Eingeständnis. Sie hatte nicht erwartet, hinter Mark s Verhalten Frauen gegenüber würde sich eine so dramatische Geschichte verbergen. Mitfühlend streichelte sie ihm über die Wange, und er zog sie fester zu sich.
» Ich wünschte, du müsstest nicht gehen«, flüsterte er. »Ich wünschte, du könntest hier bleiben.«
Was war das plötzlich? Diese Offenheit, diese Suche nach ihrer Nähe?
Zwei Tage später kam er zu ihrem Schreibtisch. Für die nächste Woche war eine gemeinsame Fahrt nach Leipzig geplant und Valerie hoffte, dort wieder die Chance zu bekommen, ein oder zwei Nächte bei ihm zu sein.
» Kannst du dir nächste Woche mehr Zeit einplanen?«, fragte Mark nun. Er hielt ein Fax in der Hand und seine Stirn war gerunzelt. »Es gibt ein paar Probleme. Huber will eine große Besprechung anberaumen, einen Vor-Ort-Termin und so was.«
Valerie nickte stumm. Werner würde nicht begeistert sein, aber ihr war es nur recht, wenn sie einen Tag länger von zu Hause weg war, denn sie empfand die Stimmung dort als immer unerträglicher. »Was denn für
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