Im Schatten meiner Schwester. Roman
Scheinwerfer zeigte in die andere Richtung. Jemand, der vorbeifuhr, würde sie nicht sehen. Genauso wie sie von dort, wo sie saß, keine Häuser erkennen konnte. Aber da war dieser Blumenbriefkasten.
Sie würde sich abschleppen lassen müssen. Aber wen sollte sie anrufen? Keiner war verletzt, es war kein anderes Auto beteiligt. Doch wenn die Polizei käme, würde es Fragen geben, und dazu war sie nicht in der Stimmung. Sie wollte schon Charlie anrufen, aber ihr war auch nicht danach, es ihm zu erzählen. Die Einzige, die sie brauchte, war, wie sie erkannte, Molly.
Ihre Tochter nahm nach dem ersten Klingeln ab. »Mom?«
»Wo bist du?«
»Gerade nach Hause gekommen. Was ist los?«
Kathryn hätte hysterisch loslachen können. Wo sollte sie anfangen? »Glaubst du, du kannst mich abholen?«
»Natürlich.«
»Nicht im Krankenhaus. Ich hatte einen kleinen Unfall. Du wirst gewissermaßen nach mir suchen müssen.«
»Unfall?«, rief Molly erschrocken aus.
»Mir geht es gut. Ich bin in einen Baum gefahren.«
»Mom!«
»Mir geht es gut, Molly. Wirklich. Ich laufe umher. Nichts tut weh.«
In dem kurzen Schweigen, das folgte, stellte sie sich vor, wie Molly sich zusammennahm. »Sag mir, wo ich suchen soll.« Ihre Stimme kickste, als ob sie schon nach draußen lief.
»Ich bin auf der South Street, vielleicht vier Minuten vom Krankenhaus entfernt. Kennst du diesen Blumenbriefkasten?«
»Ja.«
»Ich bin dran vorbeigefahren, bevor ich von der Straße abkam. Einer meiner Scheinwerfer ist noch an. Park am Straßenrand, und du wirst mich sehen.«
»Ich steige gerade in mein Auto ein. Bist du sicher, dass es dir gutgeht? Hast du die Polizei gerufen?«
»Damit alle Welt anfängt zu reden?«
»Okay«, erwiderte Molly. Ihr Motor sprang an. »Hast du Dad angerufen?«
»Nein. Er wird schlafen. Er glaubt, ich bin noch im Krankenhaus.« In der Zeit, die Charlie gebraucht hätte, um aus dem Haus zu kommen, wäre Molly schon hier. Außerdem war Molly diejenige, die Kathryn brauchte.
Sie sagte Molly jedoch nicht, was sie wollte, bis diese damit fertig war, sich über das Auto auszulassen, den einsamen Scheinwerfer ausgeschaltet und Kathryn zum Jeep geführt hatte. Da fragte Kathryn dann direkt: »Fährst du mich zu Nana ins Pflegeheim?«
Die Dunkelheit konnte Mollys Überraschung nicht verbergen. »Jetzt?«
»Du wolltest doch, dass ich hingehe.«
»Ja, aber am Tag. Es ist fast elf Uhr abends.«
»Machst du dir Sorgen, sie könnte mit diesem Mann im Bett sein?«, fragte Kathryn.
»Ich bin besorgt, weil sie schlafen könnte«, erwiderte Molly mit einfacher Logik. »Wir fahren gleich morgen früh hin. Sie schläft wirklich allein, Mom. Thomas hat sein eigenes Zimmer am anderen Ende des Flurs.«
Kathryn fühlte sich besänftigt von ihrer Stimme. Sie war erstaunlich ruhig, als sie sagte: »Es ist für mich so schwer zu verstehen.«
»Ich weiß, Mom. Meinst du nicht, dass seine Familie damit auch Probleme hat? Aber sie sind einfach wie Kinder, die sich jeden Tag zum ersten Mal treffen. Sie erinnern sich nicht, was vorher war, und es gibt kein Danach. Sie leben im Hier und Jetzt.«
»Sie ist immer so aufgeregt, wenn sie ihn sieht«, bemerkte Kathryn. Irgendetwas an der Dunkelheit machte es leichter, darüber zu reden. Oder vielleicht war es auch, weil sie in einen Baum gefahren war und ein Knäuel aus unterdrückten Gedanken freigesetzt hatte.
»So zeigt sie ihre Freude. Ob es er ist, ich, du oder ein Sandwich zum Tee – es ist egal. Sie kennt den Grund nicht, nur dass er sie zum Lächeln bringt.«
Wieder einfache Logik. Kathryn dachte darüber nach, als Molly fragte: »Warum fahre ich dich nicht nach Hause?«
»Nein, nicht nach Hause.« Sie hatte das Krankenhaus verlassen, weil sie ihre Mutter brauchte, doch wenn das noch nicht in Frage kam, wollte sie etwas
tun
. Konstruktiv zu sein gehörte zu ihrem Wesen. Sie hatte sich die ganze Woche zu hilflos gefühlt.
»Dann zu mir«, schlug Molly vor. »Zu Robin.«
Zu Robin klang richtig. Kathryn nickte zustimmend und lehnte sich gegen die Kopfstütze. Nach einer Minute begann sie sich zu entspannen. Es war schön, gefahren zu werden, schön, die Verantwortung für kurze Zeit abzugeben.
So müde sie jedoch war, sie konnte nicht schlafen. Sie hob den Kopf, als sie von der Hauptstraße abbogen. Der Weg zum Cottage war dunkel, doch sie vermochte Bäume, Blumen, fruchtbare Erde zu riechen. Sie waren das Beruhigungsmittel, das sie brauchte.
Molly sah das Cottage im Geiste
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