Im Schatten meiner Schwester. Roman
war der Grund dafür, dass Molly ausziehen sollte.
Sie gingen wieder in Robins Zimmer und arbeiteten sich am Rand entlang, packten Bücher vom Nachttisch ein, Notizen vom Wandbrett, Rennkappen von Haken. Sie packten zwei Bücherregale voller Souvenirs ein, bevor Molly die Schranktür aufmachte, woraufhin David scharf den Atem einsog.
»Das habe ich gehört«, sagte sie leise.
»Wo willst du anfangen?«
Das hatte sie sich selbst mehr als einmal gefragt, doch plötzlich war sie motiviert. »Hol noch mehr Kisten. Das ist Robins Kriegskiste. Ich packe einfach alles ein. Meine Mutter kann das dann durchsehen, sobald es zu Hause ist.«
Man konnte es nicht »einfach« einpacken. Souvenirs steckten überall in den Sachen. Während David Kopfhörer, MP 3-Player und iPods entwirrte, faltete Molly Kleidung, doch jedes T-Shirt erinnerte sie an eine Geschichte. Also sprach sie darüber und erzählte noch mehr Geschichten über die Plaketten und Trophäen, die zum Vorschein kamen, sobald die Kleidung raus war. Als Molly David vor Mäusen warnte, suchte er die Rückwand des Schranks nach Kot ab, fand aber nichts. Molly fühlte sich nun wohler und beförderte Arme voll CD s aus den Ecken hervor. Sie sprachen über Robins Musikgeschmack, spielten sogar eine U2- CD von ihr, während sie arbeiteten. Als David sagte, er sei hungrig, merkte Molly, dass sie ausgehungert war.
Sie dankte ihm über ihren Schüsseln mit Ok Dol Bibim Bop in einem koreanischen Restaurant in der Nähe. »Ich habe diese Pause gebraucht. Du bist sehr beruhigend.« Er sah auch sehr gut aus mit seinen grauen Augen und dem kastanienbraunen Haar. Als sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, verblasste ihr Lächeln. »Was bin ich nur für ein Mensch, dass ich mich amüsiere, während meine Schwester im Sterben liegt?«
»Einer, der noch am Leben ist«, gab er sanft zurück. »He, du feierst ja nicht gerade eine Party. Du hast gearbeitet. Du musst essen. Außerdem ist es schwer, vierundzwanzig Stunden und sieben Tage lang zu trauern. Und ist es nötig? Du bist für Robin da gewesen. Sogar das, was wir gerade getan haben, war für sie.«
Genau das war im Moment das Fazit, erkannte Molly. »Sag mir, was du erfahren hast.«
»Über Robin? Oder über dich?«
»Über Robin.« Selbst wenn die letzte Entscheidung darüber, was sie tun sollten, bei Kathryn lag, würde es helfen, wenn Molly Hinweise fände. Die ganze Zeit, während sie gepackt hatten, hatte sie danach gesucht. Sie fragte sich, ob sie zu nahe war, um den Wald vor lauter Bäumen zu sehen, und deshalb stellte sie David diese Frage.
Er dachte nach. Vorsichtig sagte er: »Ich habe erfahren, dass sie viel gewinnt. Mir war nicht klar, wie viel, bis ich diese ganzen Trophäen sah.«
Keine Hinweise also. Molly wartete.
»Ich habe erfahren, wie sehr sie andere inspiriert hat«, fuhr er fort. »Die Nachrichten am Brett waren gut, aber da waren auch noch die ganzen anderen, die in den Trophäen standen. Allein ihre Anzahl ist schon beeindruckend. Und sie hat die meisten Trophäen im Schrank aufbewahrt. Was heißt das?«
»Dass sie schon zu viele ausgestellt hatte.«
»Vielleicht heißt es, dass sie verlegen und übersättigt war?«
Molly fühlte einen Hauch von Belustigung. »Robin verlegen? Auf keinen Fall. Sie liebte es zu siegen. Sie liebte es zu wissen, dass das ihre Trophäen waren. Sie nannte diesen Schrank aus gutem Grund ihre Kriegskiste. Er enthielt, was sie brauchte, um die Welt zu erobern.«
»Nun, das ist das Letzte, was ich erfahren habe. Laufen ist ihr Leben. Es gibt nicht viel anderes.«
»Enttäuscht dich das?«
Er schenkte ihr ein verblüfftes Lächeln. »Sollte es?«
Molly zögerte nur eine Minute. »Als ich dich kennengelernt habe, hast du gesagt, du würdest ihren Namen kennen. Du hast sie das Idol eines jeden Läufers genannt. Jemand, der sie vergötterte, hätte angeboten, packen zu helfen, nur um ihren Sachen nahe zu sein.«
»Ich nicht. Ich habe angeboten,
dir
zu helfen, aber ich helfe mir auch selbst. Du fragst, was ich erfahren habe? Nicht viel mehr, als ich schon wusste. Ich habe viele Menschen wie Robin kennengelernt, und ihre Leistungen sind erstaunlich. Aber manchmal muss dafür ein Preis gezahlt werden. Ich bin traurig, dass sie nichts anderes hatte.«
Wenn sie es von dieser Warte aus betrachtete, erkannte Molly, dass es stimmte. Sie hatte ihre Schwester immer beneidet. Doch
Robins Leben mit den Augen eines anderen zu sehen verschaffte ihr eine ganz neue
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