Im Schatten meiner Schwester. Roman
erschaffen könnte, so wie ein Paralleluniversum?
Im Moment ist es nur ein Traum. Zu riskant. Und vielleicht bin ich nur gehässig. Ich versuche mich an den Gedanken mit dem schlechten Herzen und einem anderen Vater zu gewöhnen, und ich fange an zu brennen. Ich glaube nicht, dass ich Mom von meinem Herzen erzählen werde. Wenn sie den Namen meines Vaters verbergen kann, dann kann ich auch was verbergen. Es ist mein Körper, mein Herz, mein Leben.
Molly war nicht wütend, als sie mit dem Tagebuch fertig war. Sie konnte nur nicht glauben, dass es stimmte. Der Gedanke, dass Robin einen anderen Vater hatte, war lächerlich. Sie war eine Snow. Sie war immer eine Snow gewesen. Außerdem, die Chancen, dass Kathryn ein so ungeheures Geheimnis so lange für sich behalten könnte, waren einfach unwahrscheinlich.
Das Blöde war nur, dass Robin es zu glauben schien.
Da sie einen Gegenbeweis brauchte, ging Molly in Robins Zimmer und holte ihre Fotoschachtel aus dem Kram heraus, der noch hinten im Schrank war. Sie setzte sich aufs Bett, machte sie auf und begann, die Fotos durchzusehen. Robin hatte recht. Hier war die Dokumentation ihres Lebens – und ja, die Schnappschüsse von Tante Rose mit ihrem herzförmigen Gesicht, die so sehr wie Robin aussah. Das musste für Kathryn sehr bequem gewesen sein.
Und trotzdem war Molly nicht wütend. Sie fühlte sich vielmehr bedroht. Jemand sagte, dass alles, das sie von Kindheit an geglaubt hatte, auf falschen Annahmen gründete. Robin hatte recht.
Wenn man nicht der ist, der man glaubte zu sein, wer ist man dann?
Molly hatte sich diese Frage in den letzten Tagen selbst mehr als einmal gestellt.
Das Leben, das sie gekannt hatte, brach auseinander.
Sie klammerte sich ans Vertraute und schlief mit der Schachtel ein – tatsächlich behielt sie sie auf dem Bett, so dass ihre Hand ihr knubbeliges Leder berühren konnte. Ihr erster Gedanke, als sie erwachte, war, dass sie diese Bilder mit ihrer Großmutter teilen musste, aber es war zu früh, um ins Pflegeheim zu fahren. Doch einschlafen konnte sie nicht mehr.
Sie duschte und zog diesmal eine Tunika über ihre Caprihosen. Sie bürstete sich das Haar und band es mit der Spange zusammen, die Robin ihr aus Ägypten mitgebracht hatte, dann fuhr sie nach Snow Hill.
Chris’ Auto stand auf dem Parkplatz. Besorgt ging sie in sein Büro. Er saß zusammengesunken in seinem großen Ledersessel, den Kopf an die Lehne gelehnt, die Augen müde.
»Warst du die ganze Nacht hier?«, fragte sie.
Er hob eine Schulter. Ja.
»Ich würde ja fragen, was los ist, nur was wäre das für eine dumme Frage? Chris, sagt dir der Name Peter Santorum etwas?«
Er sah verständnislos drein. »Sollte er?«
»Nein, nein, ich habe mich nur gefragt.« Sie ging, bevor er sich erkundigen konnte, warum. Vor vier Tagen wäre sie mit allem herausgeplatzt, doch nun schien es klüger zu sein zu warten.
Das Gewächshaus half ihr dabei. Hier gab es kein Gefühl des Verlustes, sondern eher ein Gefühl der Erneuerung, das jeden Tag mit der Morgendämmerung kam.
Das Pflegeheim war etwas anderes. So schön es war, es lag doch Traurigkeit darin. Immer dieselben Besucher parkten dort. Wenn ein Auto nicht mehr kam, hieß das, dass jemand gestorben war.
Ihre Großmutter beendete ihr Frühstück in dem kleinen Esszimmer im dritten Stock. Molly beugte sich über Nanas Schulter und umarmte sie.
Marjorie sah überrascht auf. »Hallo.«
»Ich bin es, Nana. Molly. Du siehst aus, als wärst du mit dem Essen fertig. Wollen wir spazieren gehen?« Sie half ihrer Großmutter auf, schob ihren Arm unter Nanas zerbrechlichen und führte sie hinaus. Thomas starrte sie vom Nachbartisch an, doch Marjorie schien es nicht zu merken. Der Tag war noch jung, sie hatte ihn noch nicht getroffen.
Molly redete leise, während sie den Flur entlanggingen. »Du siehst hübsch aus heute, Nana. Ist das der Pullover, den Mom dir zum Geburtstag geschenkt hat?« Er war blassblau und fein gestrickt. Als Marjorie nicht antwortete, fragte sie: »Hast du gut geschlafen?« Dann, als sie das Solarium erreichten, bemerkte sie: »Was für ein schöner Tag.« Die Fenster mit den Markisen standen offen. Die Luft roch nach Herbst.
Molly setzte Marjorie in einen Korbstuhl mit bunten Kissen und zog sich einen anderen heran. Dann beugte sie sich vor und nahm die Hand ihrer Großmutter. »Okay, Nana«, begann sie, »das hier ist wirklich, wirklich wichtig. Ich werde nun einen Namen nennen. Ich will, dass du mir sagst,
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