Im Schatten meiner Schwester. Roman
mir nun vorstelle, dass er, wo immer er auch ist, mit den Schultern zuckt und sagt: »Nun, ich habe sie gewarnt. Mehr kann ich nicht tun.«
Ich fühle mich im Stich gelassen.
Er hat recht, seine Nummer ist in meinem Handy. Ich bin in Versuchung, ihn zurückzurufen – aber wenn das hier ein Streich ist, würde ich ihm nur in die Hände spielen.
Ich google Peter Santorum. Unglaublich. Wenn der Typ, der mich angerufen hat, ein Hochstapler ist, dann hat er sich einen bekannten Typen ausgesucht, den er darstellt. Peter Santorum lebt in Kalifornien, was zu seiner Vorwahl passt – und ja, ich habe seine Nummer in meinen BlackBerry eingegeben. Ich denke mir, ich brauche einen Beweis für den Fall, dass ich mich entscheide, die Polizei anzurufen. Was mich angeht, ist Peter Santorum ein Verrückter.
Ich schaue sein Bild an und sehe keine Ähnlichkeit. Aber ich sehe auch nicht wie Dad aus. Mom sagt immer, ich sehe aus wie ihre Tante Rose. Nur um sicher zu sein, grabe ich meine Fotoschachtel aus. Da ist sie, Tante Rose. Wir haben denselben spitzen Haaransatz, dieselbe breite Stirn, dasselbe spitze Kinn. Die Ähnlichkeit ist markant.
Er kann einfach nicht recht haben, denke ich. Ich habe diese Bilder als Beweis. Familienporträts, Ferien, Meilensteine – in dieser Schachtel befindet sich ein ganzes Leben. Meine Mutter würde mich nicht daran glauben lassen, wenn es wahr wäre. Ich bin dreißig, um Gottes willen. Das ist alt genug, um es mir zu erzählen.
Aber er klang nicht wie im Wahn. Also suche ich im Netz nach seiner Tochter. Sie ist zwanzig. Sie spielt Volleyball für Penn State, was eine Erste-Liga-Schule ist. Dieser Teil stimmt also. Und da ist etwas, was er nicht gesagt hat, das dort in der Biografie seiner Tochter geschrieben steht. Ihre Tante – seine Schwester – ist Debra Howe. Ich kenne diesen Namen, bevor ich ihn überhaupt überprüfe. Debra Howe war eine der ersten Frauen, die den Boston Marathon gelaufen sind.
Etwas an Peter Santorum scheint echt zu sein. Er war nicht hämisch, als er angerufen hat. Er klang ein bisschen nervös, aber wäre das nicht angemessen, wenn er zum allerersten Mal mit seiner biologischen Tochter spräche? Er klang nicht mal begierig, einfach nur besorgt darüber, das Richtige zu tun. Er hat um nichts gebeten. Er hat mich nur gewarnt.
Ich habe Mühe, das alles zu verarbeiten. Wenn man nicht der ist, der man glaubte zu sein, wer ist man dann?
Ich könnte es ganz leicht herausbekommen. Ich kann Dad fragen. Ich kann Mom fragen. Aber würden sie mir nach all der Zeit die Wahrheit sagen? Weiß Dad es überhaupt?
Dann wird mir klar, dass es eine einfachere Möglichkeit gibt, es herauszufinden. Ich rufe meine Ärztin an. Sie empfängt mich am nächsten Tag und macht eine Röntgenaufnahme von der Brust, doch die Ergebnisse bringen nichts. Sie überweist mich zu einem Kardiologen, der ein Echokardiogramm macht. Und rate mal, was?
Ich bin geschockt, aber nur zum Teil, als ich etwas entdecke, was mich umbringen könnte. Ich bin geschockt, weil ich entdecke, dass jemand, den ich nicht kenne, derjenige gewesen sein könnte, der mir überhaupt erst das Leben geschenkt hat. Ich denke an Nanas Geist und frage mich, ob es ein Zufall sein kann, dass dieser Mann und ich diese Krankheit haben.
Mein Zustand ist nicht ernst. Sie empfehlen keine Medikamente, teilen mir aber jedes mögliche kleine Symptom mit. Süß. Sie warnen mich davor, es zu weit zu treiben, aber sie sagen nicht, dass ich keinen Marathon laufen kann. Und das ist gut. Es ist mein Körper, mein Leben, und ich will laufen.
Ich habe Mom nichts von dem Herzen erzählt. Ich kann es noch nicht.
Und ich kann sie nicht nach Peter fragen. Ich habe Angst, sie könnte lügen. Und dann werde ich nichts mehr glauben können, was sie sagt.
Es ist nun eine Woche her, und er hat nicht wieder angerufen.
Es gibt Zeiten, da frage ich mich, wie sein Leben aussieht und ob wir uns verstehen würden, wenn wir uns träfen. Es gibt Zeiten, da denke ich daran, ihn anzurufen. Oder ich könnte einfach vor seiner Tür auftauchen. Ihm gehört eine Anzahl von Elitetennisschulen. Ich weiß, wo ich ihn finden kann.
Dann komme ich mir illoyal gegenüber Dad vor – gegenüber Charlie –, weil ich auch nur daran denke.
Aber was, wenn ich niemandem sagen würde, dass ich hingehe? Was, wenn dies mein eigenes Geheimnis wäre? Ich meine, wenn der Typ mein biologischer Vater ist, will ich ihn kennenlernen. Was, wenn ich ein ganzes anderes Leben
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