Im Schatten meiner Schwester. Roman
zurück, was er zuletzt gesagt hatte, und fügte sanfter hinzu: »Und Robin wollte Sie zurückrufen. Doch sie hatte Angst.«
»Angst vor mir? Ich habe sie um nichts gebeten. Ich war da sehr vorsichtig.«
»Sie hatte Angst, Mom zu verletzen. Ich auch, und es ist gut möglich, dass dieser Anruf sie aufregen wird.«
»Das führt mich zu einer interessanten Frage. Warum ruft sie mich nicht selbst an?«
»Weil sie Robins Tagebuch nicht gelesen hat. Ich schon. Robin wusste nicht, was sie glauben sollte, nachdem Sie angerufen hatten. Sie wollte glauben, dass Sie alles nur erfunden haben, doch sie hat die Informationen geprüft, die Sie ihr gegeben haben, und die Sache mit dem Herzen hat dann den Ausschlag gegeben. Mom hatte keine Ahnung, dass sie von Ihnen wusste. Robin hat ihr auch nichts von dem Herzen erzählt.«
Es gab eine Pause. »Das ist eine Überraschung. Ich hatte den Eindruck, sie standen sich nahe.«
»Das taten sie auch. Aber das hier war etwas anderes.« Molly versuchte es so zu formulieren, dass sie Kathryn nicht kritisierte. »Ich glaube, als Robin von Ihnen erfuhr, kam sie zu dem Schluss, dass sie ihr Leben nicht voll unter Kontrolle hatte. Und das wollte sie ändern.«
Deshalb rief Molly an – und deshalb handelte sie an Robins Stelle und hatte eine Antwort parat, als er leise fragte: »Was möchten Sie, dass ich tue?«
»Kommen Sie und besuchen Sie sie. Sie wollte Sie kennenlernen.«
»Will Ihre Mutter das?«
»Das weiß ich nicht. Aber Robin will es. Und nur das zählt.«
Die Unsicherheit setzte in dem Moment ein, als Molly auflegte. Von all den impulsiven Dingen, die sie in ihrem Leben getan hatte, beinhaltete das hier das größte Potenzial für eine Katastrophe. Oh, sie hatte keinen Zweifel daran, dass sie tat, was Robin wollte. Doch Kathryn würde ihr vielleicht niemals verzeihen.
Peter Santorum würde den Spätflug nehmen und am nächsten Morgen in der Dämmerung eintreffen. Sein Platz war gebucht.
Sie suchte nach einer Versicherung, dass sie das Richtige getan hatte, und ging in Robins Zimmer. Es fing langsam an leer
auszusehen, doch das Bett war noch intakt, und die Katze lag auf dem Quilt und hob den Kopf, als sie sich hinsetzte. Nachdem
sie sie eine Minute lang angestarrt hatte, legte sie den Kopf wieder hin. Sie hatte beschlossen, ihr zu vertrauen, und das
nahm sie als gutes Zeichen.
»Geist«, murmelte Molly. Eindeutig ein Zeichen.
Peter Santorum anzurufen war das Richtige gewesen. Doch was sollte sie nun tun? Sie konnte es Kathryn erzählen oder nicht. Sie konnte es Charlie erzählen oder nicht. Sie konnte eine wilde Geschichte erfinden, dass Peter eine Vorahnung gehabt und angerufen habe. Oder sie konnte auch gar nichts sagen.
Sie brauchte eine objektive Meinung, und der einzige Mensch, der ihr einfiel, den sie anrufen könnte, war David. Also suchte sie nach seiner Karte und wählte seine Nummer. Sein »Hallo« klang leise.
»O mein Gott«, erkannte sie, »du bist mitten im Unterricht.«
Seine Stimme blieb sanft und war nun wachsam. »Alles in Ordnung?«
»Immer dasselbe. Ich rufe dich wieder an.«
»Nein, ich rufe dich an. Gib mir zwei Minuten«, erwiderte er, und länger dauerte es auch tatsächlich nicht. Sein Ton klang nun normal und erfreulich besänftigend. »Der Unterricht war fast zu Ende«, erklärte er. »Ich musste nur noch über die Hausaufgaben gehen. Normalerweise lasse ich mein Handy nicht an, aber es gibt ein Problem mit Alexis.«
»Wie geht es ihr?«
»Ich werde es dir bald mitteilen. Sie hat nach mir gefragt, deshalb fahre ich jetzt ins Krankenhaus. Wo bist du?«
»Zu Hause, aber ich möchte etwas mit dir klären. Können wir uns dort treffen?«
Sie vereinbarten Ort und Zeit. Befriedigt beendete sie das Gespräch und ging ins Arbeitszimmer. Innerhalb von Minuten hatte sie Robins Dateien auf ihren eigenen Computer gespeichert und eine neue CD gebrannt.
Die hier war für Kathryn. Und nein, es war nicht das Original. Das wollte Molly selbst behalten. Sie glaubte, dass ihre Schwester diese Dateien für sie bestimmt hatte, und wenn sie auch den Inhalt Kathryn nicht vorenthalten konnte, würde doch eine Kopie genügen müssen.
Sie traf David auf dem Krankenhausparkplatz. Er sah wie ein richtiger Schullehrer aus – mit Hemd, Krawatte und Jeans und mit einem Lederrucksack, den er auf den Boden stellte. Sein warmes Lächeln sagte ihr, dass sie recht gehabt hatte, ihn anzurufen. Sie konnte ihm private Informationen anvertrauen. Sie wusste
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